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Serbiens Opposition boykottiert die Wahl

■ In Serbien werden die EG-Sanktionen auch bei der demokratischen Opposition als ungerecht empfunden/ Regimekritiker verlangen Unterstützung durch das Ausland

Einen gewissen Mut konnte man ihm nicht absprechen, dem Vizepräsidenten des serbischen Parlaments, als er am Mittwoch abend direkt auf die Friedensdemonstranten zukam. Vor dem Parlament hatten sich ein paar hundert Menschen versammelt, um die Toten von Sarajevo zu betrauern. Wie nicht anders zu erwarten, bekam der Vizepräsident unter Buhrufen den angesammelten Unmut entgegengeschleudert. „Stoppt endlich diesen Wahnsinn“, „Wir wollen ein friedliches Zusammenleben der Völker“, „Ihr seid die Kriegstreiber“ waren nur einige der Vorwürfe, die er zu hören bekam.

Das grausame Massaker in Sarajevo hat die Gemüter in der serbischen Hauptstadt zum Wallen gebracht. Es zeigt schlaglichtartig den Stand der Dinge auf. Irgend jemand hatte sich dafür hergegeben, mit einem Mörser auf Menschen zu schießen, die um Brot anstanden. Angesichts dieses Blutbades wird klar: Hier werden nicht einmal die „normalen Regeln“ eines Krieges eingehalten. „Die haben doch längst die Kontrolle über die Milizen verloren“, wird auf einer spontan organisierten Versammlung gemutmaßt.

Erschüttert wird dann der Bericht eines Studenten aus Sarajevo aufgenommen, der davon erzählt, wie eine Serbin, deren Engagement für ein friedliches Zusammenleben in der Stadt bekannt war, von serbischen Milizionären geschlagen und abtransportiert wurde. „Sie säubern jetzt auch in den eigenen Reihen, wer sich gegen die Politik der ethnischen Entmischung stellt, wird als Feind behandelt“, sagt er.

Viele serbische Oppositionelle in Belgrad fühlen sich an die Wand gedrückt. Ein paar hundert Meter von der spontanen Zusammenkunft entfernt, hält einer, der von den Friedensleuten als größter Kriegstreiber bezeichnet wird, vor mehr als 10.000 Menschen eine Wahlrede. Wortfetzen, die von dort herüberdringen, verheißen wahrhaftig nichts Gutes: „Rache für ... sollen sie doch kommen, sie werden sich blutige Köpfe holen...“ Vojislav Seselj, dessen Konterfei die Häuserwände Belgrads überdecken, kennt keine Mäßigung — und ist damit erfolgreich. Wenn am Sonntag das neue Parlament der „Bundesrepublik Jugoslawien“, das heißt der beiden Republiken Serbien und Montenegro, gewählt wird, kann er mit vielen Sitzen rechnen. Doch dies ist nicht nur dem Umstand geschuldet, daß mit der Zuspitzung der Kriegshandlungen in Bosnien- Herzegowina seine Haßparolen auf viele offene Ohren stoßen. Auch daß die vereinigte demokratische Opposition sich entschlossen hat, die Wahlen zu boykottieren, spielt dabei keine unwichtige Rolle. So treten bei diesen Wahlen nur „Kommunisten und Faschisten“ an, wie der Vorsitzende der oppositionellen „Serbischen Erneuerungsbewegung“, Vuk Drasković (siehe Interview Seite 10), drastisch formuliert.

Mit seiner Meinung hat Drasković durchaus recht. Neben Slobodan Milosevićs „Sozialisten“ buhlen so anheimelnde Gruppierungen wie der „Bund der Kommunisten/Bewegung für Jugoslawien“, in dem Milosevićs Frau und einige Militärs das Sagen haben, oder die „Neue Kommunistische Bewegung für Jugoslawien“ um die Stimmen der WählerInnen. Die „Serbische Radikale Partei“ von Seselj konkurriert mit der „Demokratischen Partei“ des serbischen Führers aus Bosnien, Radovan Karadzic. Eine Arbeiterpartei und eine Sozialdemokratische Partei runden das Bild der regimetreuen Gruppierungen ab. „Immerhin wird die Mehrheit der WählerInnen in Belgrad boykottieren, im ganzen Land werden nicht mehr als 50 Prozent teilnehmen“, mutmaßt Milan Milosević, Redakteur des unabhängigen Wochenblattes 'Vreme‘.

Dennoch ist es den demokratischen Oppositionsparteien bisher nicht gelungen, die ablehnende Haltung von 50 Prozent der serbischen Bevölkerung in aktiven Widerstand umzuleiten. Als sich letzte Woche die drei großen Parteien der Opposition, die „Serbische Erneuerungsbewegung“, die „Liberale Partei“ und ein Flügel der „Demokratischen Partei“, zu einem Parteienbündnis zusammenschlossen, war immerhin der erste Schritt getan, um die oppositionelle Politik ernsthaft in die Gesellschaft einzubringen. Zusammen mit der KSZE-Kommission bemängelt sie, daß die neue jugoslawische Verfassung und das Wahlgesetz im Schnellverfahren durch das nicht legitimierte Rumpfparlament „gepeitscht“ wurden.

Auch die offensichtliche Medienmanipulation durch die Regierung ist nur ein Grund dafür, daß es bisher noch nicht gelang, das Regime ernsthaft zu erschüttern. Noch habe sich keine der oppositionellen Führungspersönlichkeiten als populär genug erwiesen, um nicht nur zwischen den gebildeten Mittelschichten der Städte größere Resonanz zu finden, so die Meinung vieler Intellektueller. Hinzu kommt, daß die Programme noch nicht ausgereift erscheinen. „Die Arbeiter, die bei der letzten Wahl noch Milosević unterstützten, werden zum großen Teil zu Seselj abwandern“, glaubt Redakteur Milan Milosević. Dennoch stimmten die politischen Scheidelinien in Serbien nicht mit den sozialen Interessen überein. Bürokratie und Staatsfirmen schafften es weiterhin, ihre Angestellten auf die Staatspolitik zu verpflichten. Die politische Scheidelinie sei immer noch ideologisch, zwischen dem europafeindlichen Nationalismus und dem europaorientierten Liberalismus angesiedelt. So könne man auch erklären, daß das Regime trotz Inflation (mit Durchschnittsgehalt von 100 DM bei gleichen Preisen wie in der BRD) noch nicht ins Wanken geriet.

Gerade deswegen sehen viele Oppositionspolitiker die Boykottmaßnahmen der EG mit gemischten Gefühlen an. Besser wäre es, wenn die Opposition offene Unterstützung durch das Ausland erführe, erklären sie, um damit auch ökonomische Perspektiven deutlich zu machen. „Wer will in diesem Land über die Zukunft nachdenken“, sagt ein Cafébesucher. „In Bosnien-Herzegowina ist Krieg, aber hier ist doch noch alles friedlich.“ Erich Rathfelder, aus Belgrad

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