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Is eh schon alles Tschikago

■ „Im Dickicht der Städte“ von Bertolt Brecht: jetzt neu als Dschungelbuch vom scheidenden Oberspielleiter Andras Fricsay Kali Son

Garga schmeißt Jane an die Säule, der Pavian feuert in die Luft, Mae schrillt, Marie quäkt, Garga hupt unverzüglich wie ein abgestochenes Auto und tritt dem Trottel in die Wampe, Jane kriegt einen Anfall nach dem andern, Garga haut den Malaien in die Pfanne, Marie heult, Brecht wimmert: So ficht sich heutzutag das Bremer Theater einen Weg frei, wenn es ins „Dickicht der Städte“ gerät.

Brechts Jugendstück (von 1921) zeigt aber eigentlich eher den präzisen, überlegten Fight zweier Mannsbilder, wie er sich abspielt in einem fernen Chicago, in jener „Stadt aus Dreck und Eisen“ also, die höchstens für den matchwinner noch ein Grinsen übrig hat. Die Stadt Chicago, in Schuß und Schach gehalten von einem industrialisierten Gangstertum, ist die epochal neue Schaubühne, auf der Garga, der Leihbibliotheksangestellte, und Shlink, der reiche Malaie, sich schlagen aus keinem Grund, aber um alles: In zehn Bildern, in zehn Runden ermittelt sich, wer in dieser neuen Zeit, wo die Motive nichts mehr zur Sache tun, der „bessere Mann ist“ (Brecht).

„Im Dickicht der Städte“ ist naturgemäß ziemlich heftiges Theater und kann Kühlung gut vertragen. Andras Fricsay Kali Son aber, der nun mal ein Tropenmensch ist, hat grad extra tüchtig

Die Stadt aus Dreck und Eisen, die nur für den Matchwinner ein Grinsen hat

eingeheizt, bis er in die rechte Stimmung kam, aus den Farben, die es hergibt: abgasgrau, ziegelocker, puffrot, chevvyschwarz, malaiengelb, sein privates Dschungelbuch zu malen.

Und gar nicht schlecht, wunderbarerweise. Schöne Szenen drin. Die flatternde, stöckelnde, verlorene Jane, wie sie erst stark wird, indem sie endgültig aufgibt: herzergreifend Heidemarie Gohde. Oder Shlink, der Malaie, mit seiner wiegenden, lächelnden Kämpferschönheit: sehr anmutig gespielt von Thomas Meinhardt. Oder dies oder jenes: Lichtwechsel, jäh wie Filmschnitte, und in allem Trubel viele choreographische Schnäppchen. Es könnte aber, was gefällt, gut und gern aus siebzehn Stücken sein. Am Wesentlichen nämlich ist er wieder einmal vorbeigewummert, der Kali Son: an der kraftgeladenen Seele des Stücks, am Theateraugenblick.

Manchmal umkreisen die Gegner einander, lauern, planen den Schlag; plötzlich schenkt Shlink dem Garga, um ihn zu vernichten, all seine Reichtümer; plötzlich geht Garga, um sich zu rächen, für Shlink ins Gefängnis; und am Ende, als beide erschöpft sind von den vielen gelogenen, angetäuschten und ehrlich gezielten Worten, sagt plötzlich Garga, daß ja die Sprache gar nicht mehr ausreiche, zu erfassen, was ist: lauter Theateraugenblicke. Fricsay ließ sie fast allesamt verpiffpaffpuffen in seinem gewohnten Overdrive, den er für emotional hält und der doch nur das Gähnen der Leere überbrüllt.

Statt der spannenden Perfidie zweier starker Gegner viel Gestrampel und Geplärr auf der klapprigen Tekknoschmuddelbühne (Jorge Villareal); und völlig aus den Fugen die zentrale Figur des George Garga, des Mannes, der ahnen muß, daß seine Siege ihm die schwersten Verlu

„Ich liebe dich, Garga“ - Thomas Meinhardt als Malaie ShlinkFoto: Jörg Landsberg

ste zufügen. Wenn es je einen Kerl gegeben hat, müßte Garga ein Kerl sein. Andreas Grothgar aber macht ihn als dampfgetriebenen Vorstadtcholeriker lächerlich, der kaum den Mund aufmacht, ohne daß die Faust fuchtelt, was aber wurscht ist, weil man ihn auch sonst nicht versteht.

Um diesen Lärmschläger herum erblassen alle feineren Theatermittel, die mimischen Blüten, die fragileren Töne, die Fricsay mit seinem vegetativen Schaupielerinstinkt doch auch er

hierhin bitte das

Theaterfoto von dem

Glatzkopf, der auf dem

Boden hockt

spürt hat, und sehen bloß noch übertrumpft aus. Um aber wieder einmal das Unmaß seiner Dinge wenigstens voll zu machen, wuchtet der scheidende Oberspielleiter aus Trotz einen echten Chevvy in original Gangsterschwarz auf die Bühne und läßt, aus ebenso unerforschlichen Gründen, Dirk Diekmann (als den Wurm) in einem fort mit strangulierter Stimme sprechen und läßt, wenn der Abend lang ist, auch gerne mal ein possierliches Maschinchen laufen, welches uns

beweisen soll, daß Shlink ein Fabrikant ist und nicht ein Händler, wie Brecht noch behauptete, der es nicht besser wissen konnte.

Von solcher Sorte sind und bleiben die Jokes, die Fricsay unermüdlich für mehrheitsfähig hält. Wir nehmen sie dennoch mit Dank: als Abschiedsgabe von einem, der hier die letzte Tat verrichtet hat, bevor er geht. Auch der Applaus im Schauspielhaus war endenwollend. Manfred Dworschak

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