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Picknick am „Tag Danach“

■ Gay & Lesbian Run 92: Schweißtreibende Angelegenheit ohne Konkurrenzdenken

Berlin. „Ich möchte den Artikel vorher lesen!“ und „Eigentlich sollte jemand darüber schreiben, der sich in der Schwulenproblematik auskennt!“ meinte eine der Veranstalterinnen des Gay & Lesbian Run 92, aber Sport, egal, wer ihn treibt, wird nach den Regeln der Sportberichterstattung behandelt.

300 Lesben und Schwule hatten sich im Stadion Rehberge versammelt, um Lästerer („Wat wern die da bloß machen? Handtaschenweitwurf?“) Lügen zu strafen. Denn bei Temperaturen, die allein schon das Zuschauen zur schweißtreibenden Angelegenheit werden ließen, absolvierten die Männer und Frauen nicht nur die Sprintdistanzen und das Hoch- und Weitspringen, sondern auch noch Fünf- und Zehnkilometerläufe.

Veranstalter waren, wie schon im Vorjahr, zwei Berliner Sportvereine, „Vorspiel“, der schwule Läuferverein, und „Seitenwechsel“, ein eher breitensportlich engagierter Frauen-/Lesbenclub.

Beide Vereine wurden aus dem gleichen Bedürfnis heraus gegründet: wer sich täglich im Berufsleben Anfeindungen ausgesetzt sieht, der möchte wenigstens in seiner Freizeit seine Ruhe haben. Man finanziert sich über Beiträge und Spenden, bietet vom Fußball bis zur Selbstverteidigung täglich Kurse an. Der Verein „Vorspiel — schwuler Sportverein Berlin“ hatte denn auch seine Schwierigkeiten, von offizieller Seite anerkannt zu werden. Denn mit diesem Namen wollte ihn der Berliner Leichtathletik-Verband auf keinen Fall als Mitglied aufnehmen. (Der Berliner Volleyballverein hat übrigens seit Jahren mit eben diesem Namen kein Problem.) So zog man schließlich vor Gericht. In erster Instanz hielt man das „Vorspiel“ für eine Provokation, in der Berufungsverhandlung wollte das OLG die Bezweichnung „schwul“ nicht beanstanden. Immerhin ermöglicht das Adjektiv jedem potentiellen Mitglied völlige Klarheit über die Mitsportler. Nur den Vornamen fand das Gericht zu doppeldeutig, jetzt muß man entweder über eine Namensänderung entscheiden oder weiterklagen.

Die Idee des Lesben- und Schwulen-Sportfestes kam den Berlinern nach dem Besuch der Gay Games 1990 in Vancouver. Die sollten zwar ursprünglich Gaylympics heißen, aber da hatte das IOC ganz furchtbar etwas dagegen. Doch auch unter dem anderen Namen wurden die Spiele ein Erfolg: 7.000 TeilnehmerInnen aus 26 Nationen waren am Start. Während man in Kanada u.a. von Getränkefirmen gesponsert wurde, sehen es die Berliner schon als Erfolg, wenn sich der Run selbst trägt. Und hoffen, die Gay Games vielleicht 1998 in die Möchtegern-Olympiastadt holen zu können. Der Run, der zum festen Termin werden soll, bietet da beste Voraussetzungen, zumal in diesem Jahr TeilnehmerInnen aus neun verschiedenen Nationen am Start waren.

Konkurrenz stand nicht im Mittelpunkt des Gay & Lesbian Run 92, so gerieten schon die Aufwärmübungen, die man den TeilnehmerInnen mit einem „Ihr wollt doch heute abend noch tanzen können!“ nahebrachte, zur Gemeinschaftsveranstaltung. Alle Starter der jeweiligen Disziplin versammelten sich unter Madonna-Klängen zum Aerobic. Und auch sonst wurde möglichst fair verfahren — man lief zwar zusammen, die Leistungen wurden aber in unterschiedlichen Alterskategorien (im Fünfjahresabstand) bewertet.

Neben den Wettkämpfen gab es noch ein dreitägiges Rahmenprogramm mit Dampferfahrt, Gemeinschaftstraining, Nudelparty, rauschendem Fest und einem Picknick am „Tag Danach“. Immerhin lautete das Motto ja „Lesben und Schwule gemeinsam!“

Wie wichtig diese Möglichkeit, Sport zu treiben, für manchen ist, erklärte Ronald, Starter über 10.000 Meter: „Ich jogge jetzt seit anderthalb Jahren. Als Kind war ich im Laufen immer letzter, jetzt begreife ich es als Herausforderung. Mit welcher Zeit ich ankomme, weiß ich nicht!“ Elke Wittich

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