: Blauer Dunst
Die Revue des „Blauen Engel“ von Zadek. Savary am Berliner Theater des Westens ■ Von Sabine Seifert
Engel fallen vom Himmel oder schweben an einem Kronleuchter herunter; doch nicht immer fallen sie auf ihre Füße. Wahrscheinlich sind sie einfach blau, zumindest blau geschlagen.
Eine Berliner Boulevardzeitung fand am Samstag folgende Worte: „Lemper nackt, Berlin gähnt“. Von Diepgen bis Momper, von Biolek bis zu den Kessler-Zwillingen — die lokale Politprominenz wie das kleine Show-Völkchen wollten am Donnerstagabend unbedingt dabei sein: Premiere der neuen Zadek-Savary- Produktion vom Blauen Engel im Berliner Theater des Westens. So kurz nach dem Marlene-Rummel und den damit verbundenen Peinlichkeiten, wollte man sich gewissermaßen kompensatorisch im Abglanz des Stars sonnen — oder dessen Untergang Revue passieren lassen, betrachten und betratschen.
Schon im Vorfeld der Veranstaltung herrschte in der Gerüchteküche Hochbetrieb. Zehn Tage vor der Premiere hatte sich Regisseur Peter Zadek krank gemeldet; er leidet an Herzrhythmus-Störungen. Der bis dahin nur für die Revueeinlagen verantwortliche Jérôme Savary übernahm kurzerhand die Regie. Was auch immer geschehen sein mag: Die einst fruchtbare Zusammenarbeit der so unterschiedlichen Störenfriede hat sich nicht wieder bewährt. Der eine streitet gerne, der andere krakeelt.
Natürlich ist Ute Lemper der Star, der Anti-Star des Abends. Natürlich kann sie singen und tanzen, nur zu gut. Sie zieht alle Register ihres Könnens, ist im Jazz ebenso zuhause wie im Chanson, stept, tanzt und ist gelenkig. Genau das ist zuviel. Denn eigentlich hat sie nur eine Rolle zu spielen, die der Sängerin Lola Fröhlich aus dem „Blauen Engel“. Ute Lemper ist der Ehrgeiz auf den mager- durchtrainierten Leib geschrieben — eine Lebedame, eine tirilierende Sumpfblüte der Halbwelt ist das nicht. Ihre unterkühlt-distanzierte Art versucht sie durch angelernte Berliner Schnoddrigkeit auszugleichen. Es wirkt zickig.
Das Experiment ist schiefgegangen. Regisseur Peter Zadek wollte die Lemper zum Spielen kriegen, neben sie setzte er ein paar seiner bewährten Schauspieler wie Eva Mattes und Ulrich Wildgruber, und die sind es auch, die der Geschichte einen kleinen aberwitzigen Hauch an Lebendigkeit lassen. Eva Mattes als Guste hat mehr Sexappeal und jene Schwere, die das Warm-Mütterliche wie das Cool-Abgeklärte einer potentiellen Puffmutter glaubhaft machen. Singen kann sie nebenbei auch. Und Ulrich Wildgruber mimt den Professor Unrat nicht als den zerstreuten armen Professor, sondern als quirligen Pedanten, der seinen anarchischen Charakter erst so richtig zum Zuge kommen läßt, sobald er zu seiner Muse und ihrem Lotterleben bekehrt und von allen anderen Schandmäulern belehrt worden ist. Die Schule brennt, heißt es am Ende, der ausgeflippte Biedermann als Brandstifter; seine Schüler mutieren zu artigen Bürgern. Der Salonkommunist Lohmann (Martin Wuttke) verwandelt sich in einen zynischen Selfmademan. Lohmann wandert aus, macht Geld — und kauft am Ende das Lokal zum „Blauen Engel“ zurück. Eine gigantische Show im amerikanischen Stil wird zum Finale der Revue im — „Blue Angel“.
Der jüngste „Blaue Engel“ ist kein Abklatsch des Films oder der Romanvorlage: Tankred Dorst schrieb eine neue (und mächtig vereinfachende) Textfassung für die Spielszenen und erfand die Figur des Konsul Wolters (Horst Frank) hinzu. Wolters schreitet fortan als Conferencier durch die Show, oder besser wie ein Märchenonkel, der seine unglaubliche Geschichte den lieben Kindern weismachen will. Funktionieren tut sie nicht. In weißem Frack und Hut spricht er vom Balkon im ersten Rang des Theaters zum Publikum herunter, ein Bild-von-Mann aus guten alten Zeiten — und ebenso gediegen wie sterbenslangweilig. Eine unrühmliche Revue nach dem berühmten Film nach dem berühmten Roman.
Die Figur des Konsuls Wolters macht den grundbiederen Zug dieser pseudofrivolen Veranstaltung deutlich. Wie in jede Hafenspelunke weltläufiger Literatur gibt es Halbseidenes, Schenkelklopfen und dezentes Busengrapschen (zu sehen); selbst Ute Lemper läßt sich, wie gesagt, für einen kurzen Moment aller Bekleidung berauben. Doch dem buntgrellen Panoptikum werden außer Konsul Wolters weißer Weste und dem weißen Tenniskleid seiner Gattin Kitty nichts entgegengehalten.
Ein Abgesang auf Biederkeit und Anständigkeit, ein bißchen Lokalkolorit (Hansestadt, Matrosen und die passenden norddeutschen Schnacks), die Heimatklänge durch exotische Farben aufgemotzt. Lohmanns Reisen nach Südamerika aus der Sicht eines Pauschaltouristen: ein musikalisches Potpourri (als Komponisten waren Peer Raben und Charles Kalman engagiert) von Samba bis Tango, von Jérôme Savary nebenbei für eine Castro-Persiflage genutzt. „Cuba si — Samba no“, ruft der zu Castro abkommandierte Wildgruber aus — genial bescheuert. Seine Clownsnummer im wiedereröffneten „Blue Angel“ wird er dennoch abliefern; dort probt man am (N)ever Comeback.
Der Blaue Engel. Eine Revue von Peter Zadek und Jérôme Savary. Bühne: Dieter Flimm. Kostüme: Andrej Woron. Musik: Peer Raben, Charles Kalman. Musikalische Leitung: Rolf Kühn. Mit Ute Lemper, Ulrich Wildgruber, Eva Mattes, Horst Frank, Gerhard Olschweski, Martin Wuttke, u.a. Theater des Westens, Berlin.
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