: Glatt, optimistisch, repräsentativ
■ Die Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer bei den Berliner Lektionen
I am a writer, not a public speaker«, verkündete die »weiße Afrikanerin«, die südafrikanische Schriftstellerin Nadine Gordimer, zu Beginn der Berliner Lektionen, zu der sie am vergangenen Sonntag ins Renaissance-Theater geladen war. Vielleicht enthielt sie sich daher der »Lektion«, wie sie die Reihe üblicherweise vorsieht — das Berliner Publikum läßt sich gerne von einem außenstehenden Beobachter die Ohren ein wenig langziehen.
Statt dessen las sie eine zentrale Episode ihres zuletzt deutsch erschienenen Buches Die letzte Safari auf englisch: Die Erzählung der Flucht einer mosambikanischen Familie durch den Krüger-Nationalpark nach Südafrika. Es ist selbstverständlich eine tropische Anti-Safari: aus der Sicht eines elfjährigen schwarzen Mädchens schildert Nadine Gordimer die von den Tieren drohende Gefahr ebenso wie den »Verlust« des Großvaters im hohen Buschgras. Nach Ankunft der Restfamilie in einem der Flüchtlingslager läßt sie sich selbst als weiße Interviewerin auftreten, die für die BBC eine Dokumentation über die Lage der Flüchtlinge erstellt — und von der schwarzen Großmutter harte, abweisende Antworten erhält.
Nach dieser kurzen, eher trockenen Lektüre ist Nadine Gordimer dann nur als public writer präsent. Auf eigenen Wunsch hin wird sie von dem ZDF-Korrespondenten Joachim Braun interviewt, der mehrere Jahre in Südafrika zubrachte, sie spricht als politische Repräsentantin ihres Landes, eine Rolle, auf die sie, wie sie bedauernd feststellt, seit der Verleihung des Nobelpreises 1991 zunehmend festgelegt wird. Auf der Bühne des Renaissance-Theaters gibt sie nurmehr Nobelpreissätze von sich: daß sie schon immer eine Minderheit in der Minderheit dargestellt habe, als Weiße in Südafrika, als Jüdin innerhalb der weißen Minderheit, als weiße Kämpferin für die schwarze Sache.
Erst jetzt, seit der politischen Rückkehr Nelson Mandelas 1990, seit dem gemeinsamen öffentlichen Kampf um die Absetzung der weißen Regierung — erst jetzt sei sie nicht mehr isoliert, habe sie eine Heimat gefunden; zum ersten Male gehöre sie dazu. »Alles, was ich schreibe, ist jetzt wahrer.«
Von dieser Wahrheit durfte das Publikum am Sonntag allerdings nichts erfahren. Wie in einer moderat moderierten Fernseh-Talk-Show erfuhr es dafür, daß nach Verleihung des Nobelpreises kein offizielles Empfangskomitee bei ihrer Rückkehr nach Südafrika bereitstand, oder daß Exil für sie nie eine Option war: Sie, Nadim Gordimer, habe sich nie in die Gefahr einer Arrestierung begeben, sie sei keine Heldin, habe nur im Schreiben für die Freiheit jedes einzelnen gekämpft — und gegen die regimebedingte Deformierung. Daher habe man ihr ja auch nicht den Friedensnobelpreis verliehen.
Entlang dieser bescheiden-koketten Selbstdarstellung ging es glatt und optimistisch durch den Vormittag hindurch: das weiße Votum zugunsten der Abschaffung der Apartheid habe sie selbst überrascht. Zwar sei es zum Jubeln noch zu früh — der Westen solle mit der Unterstützung noch bis zur Errichtung einer Interimsregierung warten — aber es gebe doch gute Anzeichen: man habe beispielsweise einen Verlag gegründet, in dem bislang englisch geschriebene südafrikanische Literatur nun zum ersten Mal in zwei südafrikanischen Sprachen erscheint. Das seien freilich nur Anfänge, da die 60 Prozent Analphabeten erst mal schriftkundig gemacht werden müßten. Sie jedenfalls wolle sich ganz dem Diktum eines schwarzen Schriftstellerkollegen anschließen, der da fordert: »Blacks must learn to talk, Whites must learn to listen.«
Großer Beifall im überraschend weiß besetzten Haus. Sicherlich hätte jeder schwarze Kollege Pointierteres zu sagen gehabt. Ihm würde allerdings ein Makel anhaften, der ihm auf ewig die Bühne des Renaissance- Theaters verwehrt: der mangelnde »Berlin-Bezug«. Frau Gordimer dagegen ist nicht nur Nobelpreisträgerin, sondern auch mit Reinhold Cassirer verheiratet, und der ist in Berlin aufgewachsen. Michaela Ott
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