GASTKOMMENTAR
: Gibt es noch ein anderes Serbien?

■ Rumpf-Jugoslawien wählte einen Tag nach der Verhängung der Sanktionen ein Parlament

Die UNO-Sanktionen wurden genau einen Tag vor den Wahlen in Rumpf-Jugoslawien verhängt. Bekanntlich hat die wirkliche Opposition in Serbien und Montenegro diese Wahlen wegen der vollständig undemokratischen Weise, in der sie organisiert wurden, zurückgewiesen. Wären die Sanktionen und die militärische Drohung, von der sie begleitet waren, nicht am Vorabend des Plebiszits bekanntgegeben worden, wäre ein großer Teil der Bevölkerung bei den Wahlen der Opposition gefolgt. Aber das Timing der Sanktionen war das schlechtestmögliche. Die konfusen, manipulierten und verängstigten Bürger hatten keine Zeit, sie zu überdenken. Es blieb ihnen gerade noch Zeit, ihrer „patriotischen Pflicht“ nachzukommen, „Serbien zu verteidigen“ und sich hinter Milosević zu scharen.

Die Isolation ist nicht geeignet, das „andere Serbien“ bei seinem Versuch zu unterstützen, Milosević und die Folgen seiner katastrophalen Politik loszuwerden. Im Gegenteil: Es bringt das Volk hinter Milosević, genauso wie vor nicht allzu langer Zeit das Volk hinter Saddam gebracht worden ist. Natürlich könnten viele die Frage aufwerfen: Gibt es überhaupt das „andere Serbien“? Ich glaube, daß die Demonstration der 70.000 in den Straßen von Belgrad, die von einem Dutzend ziviler Gruppierungen und Parteien organisiert worden war, um der Opfer des Bürgerkriegs zu gedenken, der sichere Beweis für die Existenz eines „anderen“, das heißt demokratischen und pazifistischen Serbien ist. Fragt sich nur, warum diese Bewegung mehr und mehr von den Medien vernachlässigt wird. War es nur deshalb, weil die demokratische Opposition nicht stark genug war, Milosević zu stürzen, oder exitiert einfach die Überzeugung, daß Serbien so oder so auf die Anklagebank gehört?

Es liegt mir fern zu leugnen, daß Milosević und die Bundesarmee zu den größten Schurken dieses schrecklichen Kriegs auf dem Balkan gehören. Aber sie sind nicht die einzigen. Es gibt andere Spieler in dieser Tragödie, und es wird keine Möglichkeit geben, das Töten zu beenden, ehe diese anderen entsprechend ihrer Taten ebenfalls bestraft werden.

Die wichtigste Frage lautet: Warum anerkennt die Welt nicht, daß es tatsächlich das „andere Serbien“ gibt? Warum ist die Welt bereit, die demokratische Opposition in Serbien zu opfern, wie sie es mit der demokratischen Opposition im Irak und in Kuwait getan hat? Und Saddam Hussein ist immer noch an der Macht! Sonja Licht

Friedensaktivistin in Belgrad und Mitglied der 'Helsinki Citizen Assembly‘