: Gut zum Trinken
■ Ingvar Ambjörnsens Erzählungen „Der Mann im Schrank“
Bekannt wurde Ingvar Ambjörnsen mit Krimis, deren Figuren sich durch die runtergekommenen und schmuddligen Bezirke der Wohlstandsgesellschaft treiben lassen: „weiße Nigger“, trinkfest, zynisch und mit einem Gefühlshaushalt, der schon lange ohne größere Hoffnungen auskommt. Mittlerweile gilt der 36jährige Norweger, der seit 1985 in Hamburg lebt, als einer der wichtigen europäischen Krimiautoren, seine Bücher erreichen in Norwegen Auflagen von 100.000 Exemplaren, zwei seiner Jugendromane wurden verfilmt. Die Edition Nautilus, die Ambjörnsen hierzulande bekannt gemacht hat, legt jetzt seine frühen Erzählungen vor. Sie werden wie die Krimis von verkrachten Existenzen bevölkert, die für die merkwürdigen Regeln bürgerlicher Respektabilität und die Segnungen skandinavischer Wohlfahrtsstaaten nicht mehr als ein höhnisches Grinsen übrighaben. Anders als die Krimis setzen diese Erzählungen nicht auf die Spannung der Handlung; sie verlassen sich auf die Figuren und die banalen Katastrophen, die ihr Alltag zu bieten hat. Auch die Abstürze und Amokläufe, die Nervenzusammenbrüche und Alkoholexzesse, von denen das Buch wimmelt, werden lakonisch erzählt: keine grellen Schocks, sondern triste Selbstverständlichkeiten, denen Ambjörnsen und seine Figuren mit illusionslosem Sarkasmus und bestens entwickeltem schwarzem Humor begegnen.
Ambjörnsen läßt keinen Zweifel daran, daß ihm die hoffnungslosen Verlierer seiner Stories entschieden sympathischer sind als die netten, liberalen Bürger und die erfolgskranken Aufsteiger; so angeschlagen und schräg seine Antihelden auch sind— wirklich kaputt sind logischerweise nicht sie, sondern Leute, die verrückt genug sind, auf gute Manieren und großbürgerlichen Stil zu achten. In einer der komischsten Szenen des Buches treffen zwei der Ambjörnsen-Freaks auf solche gepflegte Herrschaften: Nachdem die Hungerleider durch einen kleinen Diebstahl an tausend Dollar gekommen sind, gehen sie in eines der vornehmsten Restaurants von Paris und beobachten am Nebentisch ein Paar, dessen Anblick „mir wie haarscharf am Rand dessen vorkam, was ich als Wirklichkeit bezeichnen konnte“. Die halbgeschlossenen Augen der Dame „sagten ihr Teil über das ewige Problem der Reichen — die Langeweile, und ihre Nase wippte aggressiv in der Luft. Der Zug um ihren Mund könnte darauf hinweisen, daß sie soeben eine bittere Pille hatte schlucken müssen, aber wenn man genau hinsah, dann zeigten die tiefen Furchen zu beiden Seiten der blutleeren Lippen, daß sie sich diese Grimasse zugelegt hatte, vielleicht schon ehe die Pubertät in Sichtweite gekommen war. Sie mußte etwa Mitte 70 sein, und sie hatte sich wie eine 17jährige geschminkt. Ihr rechter Arm preßte eine Handtasche aus goldenem Krokodilleder an ihren schwellenden Wanst, ihr linker Arm trug einen halbschlafenden und vergrätzten Pekinesen. So wie ihre Visage aussah, hätte das gut ihr Sohn oder ihre Tochter sein können.“ Der Hund, dem zum Diner eine silberne Schüssel mit Filetstückchen gereicht wird, weiß die Beobachter am Nebentisch und den Leser durch seine gut funktionierende Verdauung zu erfreuen: „Und dann geschah, was ich fast nicht zu hoffen gewagt hatte. Die Natur, die ja nur selten Rücksicht auf das Renommee des Establishments nimmt, nahm ihren erbarmungslosen Lauf. Zuerst bemerkte ich, daß die ohnehin schon häßliche Visage des Tieres unter dem Tisch einen angestrengten, fast verzweifelten Ausdruck angenommen hatte. Sein Fleisch hatte es schon längst verschluckt, und nun hockte es da, drückte konzentriert und ließ ein leises Schnaufen hören. Offenbar war harte Ware unterwegs, und der Kleine hatte es nicht leicht.“
Zweifellos haben solche klischeegesättigten Erzählungen mit Hochliteratur etwa so viel zu tun wie Thomas Mann mit Heavy Metal, und selbstverständlich sind Scherze dieser Sorte nicht besonders subtil und dezent; aber sie sind erfrischend direkt und von einigem Unterhaltungswert, sie eignen sich hervorragend dazu, als Begleitung zum einsamen Trinken gelesen zu werden, und sie schüren den Klassenhaß in genau der undifferenzierten Weise, die man als Linksradikaler im Ruhestand begrüßt.Peter Laudenbach
Ingvar Ambjörnsen: Der Mann im Schrank · Erzählungen. Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. Edition Nautilus, 120 Seiten, 24DM
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