Das Alte beerdigt

■ Fackelläufe durch das Brandenburger Tor? Mit Hilmar Hoffmann, der das Kulturprogramm für Olympia2000 in Berlin entwirft, sprach Hans-Hermann Kotte

Hilmar Hoffmann, 66, war bis 1990 Kulturdezernent in Frankfurt am Main. In den zwanzig Jahren seiner Amtszeit etablierte er eine „alternative“ Kulturpolitik, ließ acht Museen neu errichten und machte das Bankenzentrum zur Stadt mit dem größten Kulturetat der Bundesrepublik. Hoffmann gilt als Erfinder des „Kommunalen Kinos“ und hat 1953 die Internationalen Kurzfilmtage von Oberhausen gegründet. Heute leitet der Sozialdemokrat, der studierte Regisseur und Filmtheoretiker die „Stiftung Lesen“ in Mainz. Nebenbei entwirft Hoffmann Kulturprogramme für die Expo 2000 in Hannover und Olympia 2000 in Berlin. Die Bewerbung Berlins für Olympia 2000 wird bis zur Vergabe der Spiele im Herbst 1993 rund 130 Millionen Mark kosten. Für das kulturelle Vorprogramm sind etwa 6,8 Millionen Mark vorgesehen.

taz: Als erfahrener Kulturmanager haben Sie sicherlich Bedingungen gestellt, als Sie diesen Olympiajob antraten?

Hilmar Hoffmann: Ja. Das waren die zeitliche Begrenzung einerseits — bis August 1993 — und die absolute Autonomie in der Formulierung meiner Vorschläge andererseits. Denn diese Aufgabe kann objektiv nur von jemandem gemacht werden, der von außen kommt und keine Rücksicht auf politische und psychologische Konstellationen innerhalb der Stadt nehmen muß.

Haben Sie auch die Aufgabe, die Akzeptanz für Olympia 2000 in der Stadt zu vergrößern? Jubelstimmung herrscht hier ja nicht angesichts massiver Probleme im sozialen und infrastrukturellen Bereich.

Akzeptanz zu schaffen ist nicht meine Aufgabe, allenfalls ein Nebenprodukt.

Warum soll sich das IOC für Berlin entscheiden?

Der kulturelle Beitrag, den Berlin zu leisten vermag, kann alle anderen Bewerberstädte aus dem Feld schlagen. Die Substanz der kulturellen Hauptstadt ist derart reichhaltig, daß daraus genügend Honig zu saugen ist.

Wie sieht Ihre Arbeit zur Zeit aus?

Da ich nicht vom grünen Tisch aus ein Programm entwickeln möchte, besuche ich alle wichtigen kulturellen Institutionen. Nicht nur die großen Theater, Opernhäuser und Museen, sondern auch die Off-Szene. Ich war auch schon in der UFA-Fabrik, im Tacheles, im Chamäleon- Varieté. Die ersten Kontakte, das waren so etwa 25. Insgesamt werden es wohl 50 Kulturinstitutionen werden, mit denen ich spreche.

Was haben Sie den Leuten, die Sie treffen, anzubieten?

Bei allen — auch bei den Alternativen — ist eine positive Grundstimmung schon da. Keiner meiner Gesprächspartner hatte Ressentiments gegen ein begleitendes olympisches Kulturprogramm. Wenn Olympia kommt, dann wollen sich so gut wie alle beteiligen. Ich bin selbstverständlich dazu bereit, mit den Olympiagegnern zu diskutieren.

Geht es Ihren Gesprächspartnern hauptsächlich um den warmen Olympia-Geldregen?

Ich führe diese Gespräche nicht in dieser Richtung. Aber ich frage schon nach Desideraten. Dann sagt mir Thomas Langhoff, daß er aus seiner Probebühne gern noch eine dritte Spielstätte machen möchte. Oder Götz Friedrich von der Deutschen Oper möchte gern noch eine Studiobühne etablieren, eine Kammeroper. Beim Kulturzentrum Tacheles sind natürlich auch noch Wünsche offen. Ich vermerke das, mache aber nur Vorschläge, an den Kultursenator Ulrich Roloff-Momin, die noch nicht an ihn herangetragen worden sind. Ich maße mir nicht an, Desiderate zu evaluieren. Ich gebe nur weiter, was mir für Olympia sinnvoll erscheint. Dies muß ja nicht immer alles vom Senat finanziert werden. Am Ende der Olympiade wird es einen handfesten Überschuß geben, aus dem sich einiges realisieren ließe.

Was zum Beispiel?

Denken Sie an das olympische Dorf: Warum sollten da nicht nach den Spielen auch Ateliers entstehen, die den Berliner Künstlern so dringend fehlen?

Olympia ist zu einem Abfüllmittel für Hunderte von TV-Kanälen geworden, zu einer riesigen Werbefläche für die Industrie. Da ist die Olympia-Kultur nur noch ein Feigenblatt.

Der Begriff Olympia-Kultur stammt nicht von mir, er ist blanker Unsinn. Ich sage mal ganz platt: Die Olympischen Spiele sind eine Chance für die Optimierung der kulturellen Szene in Berlin. Ich sehe das als reines Utilitätsprinzip. Die Schubkraft aus anderen Quellen habe ich bei meiner Arbeit immer schon genutzt. Die Kultur hat auch die Funktion des Gegenpols: Die Menschen in der Stadt, aber auch die am Bildschirm, wollen nicht immer nur die Aschenbahn sehen, sondern auch das kulturelle Umfeld.

Muß ein kulturelles Begleitprogramm für Olympia nicht auch bestimmte Entwicklungen kritisieren? Das Doping, den Leistungswahn, nationalistische und elitäre Tendenzen oder die soziale und ökologische Unverträglichkeit des Großereignisses?

Es ist nicht die Hauptaufgabe der Kulturinstitutionen, dies kritisch zu begleiten. Wer für Kritik zuständig ist oder sich zuständig fühlt, der soll getrost davon Gebrauch machen.

Das Thema 1936 wurde vom Senat und der Olympia GmbH bislang nur sehr dünn behandelt. Die erste Broschüre, die die Bewerbung offiziell darstellte, hatte gerade mal zehn Zeilen dafür übrig.

Ich will selbst noch in diesem Jahr hier in Berlin die Olympiafilme von Leni Riefenstahl vorführen und eine Diskussion daran anschließen. Es muß klar sein, daß heute ein anderer Geist herrscht als damals. Im Dritten Reich ist die Kultur instrumentalisiert und funktionalisiert worden. Olympia sollte damals eine heile Welt und Hitler als Freund der Jugend vorgaukeln. Dies muß problematisiert und darf nicht verdrängt werden. So wird etwa das Sportmuseum im nächsten Jahr eine große Ausstellung machen, in der 1936 als eine kritische Phase des olympischen Sports dargestellt werden wird.

Das ist die uralte These vom „Mißbrauch“ des Sports. Das IOC war aber 1936 und auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg schwer begeistert vom mythischen Spektakel und dem Organisationstalent der Nazis.

Wir haben die Chance zu beweisen, daß das „deutsche Organisationstalent“ allein dem Sport und nicht fremden Zwecken dienstbar gemacht wird.

Es gibt Kunsthistoriker, die fordern ein Museum direkt auf dem alten Olympiagelände von 1936, um den Besuchern die historische Funktion und die Wirkungsweise der Nazi-Architektur vor Ort zu erläutern.

Ich würde nicht die institutionelle Form eines Museums unterstützen. Aber eine Ausstellung zu dem Thema sollte es dort geben. Sie könnte während der Zeit der Olympiade im Jahre 2000 auf dem alten Olympiagelände stehen und die Besucher aufklären. Nicht nur über die Hintergründe des damaligen „Festes der Völker und der Schönheit“, sondern auch über die demokratische Entwicklung nach 1945.

Ist es für Ihr Empfinden möglich, daß die Eröffnungsfeier der Spiele wieder im Stadion von 1936 stattfindet?

Wenn man das alte Stadion benutzt und dort viele Disziplinen ablaufen läßt, dann kann dort auch die Eröffnungsfeier stattfinden. Die Zeremonie selbst müßte allerdings eine völlig andere sein. Beispielsweise muß die Strecke, die der Fackelläufer nimmt, nicht wieder unbedingt durch das Brandenburger Tor gehen. Denn dieses Bild ist immer noch unreflektiert in den Köpfen.

Den Nazis ging es ja bei diesen ersten „Medienspielen“ gerade um die Bilderproduktion. Und diese Bilder werden wiederkehren, egal welche Vermeidungsstrategie versucht wird.

Seit es Olympia gibt, sind die Spiele mit Symbolgehalt befrachtet. Deshalb sollte untersucht werden, welche olympischen Symbole und Zeremonien von den Nazis, von Hitler und den damaligen Sportfunktionären, pejorativ — niederträchtig und abwertend — besetzt sind.

Die Nazis haben doch den olympischen Fackellauf erst eingeführt.

Es muß geforscht und diskutiert werden, wie gesagt. Alternativen sind möglich. Ich habe beispielsweise überlegt, ob der Fackellauf nicht von Trommlern aus aller Welt begleitet werden könnte, die die Wurzeln ihrer Kultur in den Urrhythmen zum Ausdruck bringen. Auch sollte die Eröffnungszeremonie nicht an der klassischen deutschen Kultur ausgerichtet sein. Die christliche Kultur des Abendlandes kann heute nicht mehr den anderen Nationen als Maßstab aufoktroyiert werden.

Wie wollen Sie verhindern, daß die Kultur im Zusammenhang mit Olympia automatisch eine „erhöhende“ Funktion bekommt?

Selbst wenn wir gar nichts zusätzlich machten, wenn wir nur sagen: „Berlin ist da“, dann würde das schon ausreichen. Ich bin absolut gegen den Versuch, die Olympischen Spiele durch Kultur zu überhöhen. Das wäre eine Perversion der bisherigen kulturellen Leistung Berlins. Daß sich die kulturellen Institutionen für bestimmte Ereignisse, Jubiläen, meinetwegen auch Kirchentage, bestimmte Höhepunkte einfallen lassen, das ist doch eine ganz andere Sache und legitim.

In Äußerungen von Politikern und Olympiamanagern ist häufig die Vorstellung aufgetaucht, daß mit Olympia 2000 die Spiele von 1936 quasi endgültig „bewältigt“ werden könnten. Was halten Sie davon?

Das ist nicht völlig falsch. Olympia ist ja jetzt ein demokratisches Unternehmen. Die Inhalte, die Symboliken sind andere als in der Diktatur. Damit ist im Grunde das Alte beerdigt. Aber das, was demonstrativ während des Ereignisses selbst getan werden kann, reicht nicht aus. Es muß auch vorher schon vieles bereinigt sein — durch Kongresse, Austellungen und andere Veranstaltungen.

Was genau planen Sie denn nun für die Zukunft?

Das Kulturprogramm vor und während der Olympiade könnte durchaus identisch sein mit dem, was für die Berliner und ihre Gäste schon heute und in der nächsten Zeit attraktiv ist. Daraus sind noch Höhepunkte zu entwickeln. Defizite sind auszugleichen. Beispielsweise sehe ich ein Defizit beim Tanztheater. Berlin hat zwar Ballett in den drei Opernhäusern, aber kein Tanztheater auf der Ebene von Pina Busch oder Billy Forsythe. Und weil die Freie Volksbühne noch keine feste Verwendung hat, könnte man dort ganzjährig Tanztheater machen — aus aller Welt. Das ist nur einer von vielen möglichen Vorschlägen. Ein anderer wäre ein Olympiabeirat zusammen mit den Kulturministern derjenigen Länder, die Hitlerdeutschland im Zweiten Weltkrieg angegriffen hat. Es sind auch jährliche große Festivals ab 1996 geplant, die jeweils einem der fünf Kontinente gewidmet sind. Und zwar in einer Qualität, wie sie am Beispiel des großen Indien- Projekts verifizierbar sind. Bereits laufende Projekte für 1992/93 sind ein Sportfilm-Festival, eine Fotoausstellung, das Weltmusik-Festival „Heimatklänge“, ein Off-Theater- Projekt und das „Sommer-Festival“.

Was muß bei Großveranstaltungen anders gemacht werden als beim Kulturprogramm der Berliner 750-Jahr-Feier oder dem Festival Kulturhauptstadt Europas „E88“ im Jahre 1988?

Der oberste Gedanke sollte sein: Alles das, was zusätzlich investiert wird, muß für die Berliner, die Künstler und die Stadtkultur investiert werden, es müssen bleibende Investitionen sein. Die Nachnutzungsmöglichkeiten müssen möglichst breit konzipiert werden.