: Grün ist nur die Uniform
Die brasilianische Regierung hat die Stadt am Zuckerhut mit gigantischen Sicherheitsmaßnahmen überzogen: eine omnipräsente Armee stört seit Tagen die Kreise der „Berufsbanditen“. ■ AUS RIO DE JANEIRO ASTRID PRANGE
Rüstungswahn steht zwar nicht auf der Tagesordnung der Konferenz über Umwelt und Entwicklung (UNCED), die heute in Rio de Janeiro beginnt. Doch auf dem Weg vom Flughafen zum Kongreßzentrum können sich die Konferenzteilnehmer davon überzeugen, daß das Militär zumindest für die brasilianische Regierung während der UNCED eine entscheidene Rolle spielt. Rund 35.000 Soldaten, Polizisten, Interpol-Beamte und Feuerwehrmänner patrouillieren mit Maschinengewehren im Anschlag am Straßenrand, auf Brücken, in Tunneln und Unterführungen. Um die Sicherheit der über hundert erwarteten Staatschefs zu garantieren, investierte die brasilianische Regierung 40 Millionen Dollar.
Die gigantische Sicherheitsoperation hat bereits vier Menschenleben gekostet. Auf Befehl des brasilianischen Drogenbosses Beto „Playboy“ erschossen Mitglieder der Verbrecherorganisation „Comando Vermelho“ am vergangenen Montag zwei Polizisten in dem Elendsviertel „Roque Pinto“. Die beiden Beamten der Bundespolizei aus dem benachbarten Bundesstaat Espirito Santo waren zur Verstärkung der Sicherheitsoperationen nach Rio de Janeiro abkommandiert worden und hatten sich in ihrer Mittagspause in der Favela verirrt. Noch am selben Tag stürmten mehrere Einheiten der Polizei den Hügel im Norden der Stadt und erschoß zwei Verdächtige.
„Das ist das Ergebnis der Umweltkonferenz“ schimpft der Portier Marcio de Souza. Vor seinem Haus in der Nähe des Kongreßzentrums „Riocentro“ stehen Tag und Nacht Soldaten, ausgerüstet mit modernsten Funkgeräten, Ferngläsern, Granaten, Tränengasbomben und scharfer Munition. Marcio macht sich nach dem 15.Juni auf eine Welle von Raubüberfällen gefaßt. „Nach dem Gipfel werden die Banditen versuchen, ihre Verluste wieder wett zu machen“, prophezeit der verärgerte Wächter.
Auch die Teilnehmer des Parteienkongresses der Grünen aus aller Welt, der am Wochenende in Rio stattfand, waren über die Anwesenheit von Panzern, die ihre Kanonen auf die Bevölkerung der Favelas richten, empört. Die UNCED, eigentlich als Treffen von Staatsoberhäuptern zum Schutz der Erde geplant, sei in eine militärische Übung zum Schutz der Staatschefs aus aller Welt umfunktioniert worden worden. Nicht nur die brasilianischen Grünen fühlten sich durch die Gegenwart der Panzer und Armeefahrzeuge an die erst vor kurzem abgeschaffte Militärdiktatur erinnert.
Doch die Militärpräsenz am Straßenrand ist erst der Auftakt der massiven Sicherheitsvorkehrungen. In der Zeit vom 11. bis 15. Juni, wenn die Mehrheit der Staatschefs in Rio eintrifft, wird der Verkehr auf den Zufahrtsstraßen zum „Riocentro“ einfach gesperrt. Zwanzig Hubschrauber mit Scharfschützen an Bord werden über dem Zuckerhut und der Copacabana kreisen, Drachenfliegen und Fallschirmspringen sind dann strengstens untersagt. Die Blockierung der Hauptverkehrsadern für 86 Stunden dürfte dazu führen, daß nicht nur die „Cariocas“, wie sich die Einwohner Rios nennen, sondern auch die Konferenzteilnehmer im Stau steckenbleiben.
Auch die erst vor einem Monat eingeweihte Schnellstraße vom Flughafen in die Stadtmitte, genannt „Linha Vermelha“, bleibt ausschließlich den UNO- Gästen vorbehalten. Das 250 Millionen Dollar teure Projekt entstand bereits in den 70er Jahren, um die ständig verstopfte und von Überschwemmungen heimgesuchte „Avenida do Brasil“ zu entlasten. Die zwölfspurige Ausfallstraße war bisher die einzige Zufahrt in die Sechs-Millionen-Metropole.
Die umstrittende „Linha Vermelha“ fand ausgerechnet bei den rund 200.000 Bewohnern des riesigen Elendsviertels „Favela da Mare“, die von der Straße eingekreist werden, breite Zustimmung. Sie bescherte den Favelados eine Grünanlage mit Radweg, Fußballplatz und Freilufttheater. Nachts strahlen die Scheinwerfer der Autotrasse die Elendssiedlung an. Bis vor kurzem diente das verlassene Terrain am Rande des stinkenden Kanals „Canal da Cunha“ noch als Schuttabladeplatz und geheime Hinrichtungsstätte der berüchtigten Todesschwadronen.
„Früher haben die Leute, die am Ende der Siedlung wohnten, nur gemeckert, jetzt sind sie vollauf zufrieden“, erklärt der Vorsitzende der Anwohnervereinigung Jose Carlos de Souza. Zunächst hätten die Bewohner befürchtet, Teile der Favela würden geräumt. „Doch die anfängliche Skepsis hat sich gelegt. Die positiven Auswirkungen sind nicht zu übersehen“, meint der 42jährige bei einem Rundgang durch den Park.
Überhaupt scheinen die „Cariocas“ die strengen Sicherheitsvorkehrungen gelassener hinzunehmen als viele ausländische Besucher. „Wunderbar! Die grünen Uniformen, diese Gesichter der Jungens auf der Straße. Rio lebt in Frieden“, macht sich eine Bewohnerin von Rocinha, der größten Favela Lateinamerikas, über die Gegenwart der Soldaten vor ihrer Haustür lustig. Die Lehrerin Patricia da Costa Guimaraes ist davon angetan, daß sie während der UNCED keine Angst vor Überfällen zu haben braucht: „Jetzt kann ich endlich mal mit meinem Walkman Fahrradfahren“, meint die 28jährige.
Die Köchin Maria Barbosa, die in unmittelbarer Nähe des Kongreßzentrums ein kleines Restaurant betreibt, hat am Konferenzrummel bereits verdient. „Während des Umbaus vom Riocentro haben die Arbeiter bei mir gegessen“, sagt sie stolz und fügt großmütig hinzu: „Wenn es in den nächsten Tagen Schwierigkeiten gibt — kein Problem. Es kommt den Ländern der Dritten Welt zugute“, mutmaßt sie.
In Wirklichkeit leiden die „Cariocas“ schon seit einem Jahr unter der Schönheitsoperation von Rio. Bürgermeister Marcello Alencar verwandelte die Stadt in eine Dauerbaustelle. Die Strandpromenade wurde um einen Fahrradweg erweitert, Straßen asphaltiert, Palmen gepflanzt, Parks angelegt, der Flughafen umgebaut. Sogar die verdreckten Wände der zahlreichen Tunnel wurden geschrubbt und bekamen einen neuen Anstrich. Die Staus, die diese kosmetischen Korrekturen täglich verursachten, waren bereits ein gutes Trainung für das bevorstehende Verkehrschaos.
Dennoch ist die Mehrheit der brasilianischen Mittelklasse davon überzeugt, daß das Resultat der UNCED insgesamt positiv sein wird. Die These der sogenannten „nachhaltigen Entwicklung“, daß wirtschaftliches Wachstum ohne Umweltzerstörung möglich ist, wird von 84 Prozent unterstützt. Das ergab eine Umfrage der Agentur „Standard, Ogilvy & Mather“ in sieben brasilianischen Großstädten. Die Pessimisten, die die Konferenz als Veranstaltung, für die unnötig viel Geld ausgegeben wird, ansehen, sind mit 27 Prozent in der Minderheit. Bezeichnend ist, daß kaum einer der Befragten Umweltschutz in Entwicklungsländern mehr als Luxus betrachtet.
Doch von den Hoffnungen und der positiven Einstellung gegenüber der UNCED einmal abgesehen — wird die größte UNO-Konferenz der Menschheit konkrete Änderungen im Alltag der Brasilianer bewirken? Kristina Michahelles, Leiterin des Umweltressorts der Tageszeitung 'Jornal do Brasil‘, ist äußerst skeptisch: „Die Notwendigkeit, das bisherige Entwicklungsmodell Brasiliens zu verändern, spiegelt sich noch nicht in den politischen Strukturen Brasiliens wider. Solange es die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes nicht lernen, die Politiker zur Rechenschaft zu ziehen, war alles umsonst“, schreibt die Journalistin. Oder fast. Immerhin seien die Wände im Tunnel „Reboucas“ jetzt weiß getüncht. „Mit dieser einfachen Maßnahme hätte man schon lange vor der UNCED viele tödliche Unfälle verhindern können.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen