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Vom Ferndirigenten zur Remote Control

Der elektronische Faustkeil des Medienmenschen: Eine kleine Geschichte der Fernbedienung  ■ Von Martin Muser

Irgendwann in grauer Vorzeit nahm irgendein Homo erectus in irgendeiner afrikanischen Savanne einen Knüttel und schlug mit diesem irgendeine Frucht vom Baum. Was der Vorfahr nicht ahnen konnte, war, welche Folgen diese Tat haben sollte. Er hatte soeben den Prototypen der Fernbedienung erfunden. Jenes Gerät, das uns heute in Form eines schwarzen knopfbewehrten Kästchens all die Tele-Visionen auf den Bildschirm ruft, ohne die unser Zeitalter kein Medienzeitalter wäre. Die Fernbedienung ist zum Universalwerkzeug, zum elektronischen Faustkeil des Medienmenschen geworden: Mit ihr verfügen wir über den instantanen Zugriff auf Programme, Texte und Daten.

Die Remote Control nimmt in mehrfacher Hinsicht eine Schlüsselfunktion in unserem TV-Alltag ein. Zum einen, weil die meisten Empfangsgeräte heute keine Bedienknöpfe mehr haben und ohne das ferngesteuerte Sesam-öffne-dich jede Funktion verweigern. Zum anderen steht die Fernbedienung für eine tiefgreifende Veränderung unseres Rezeptionsverhaltens: nämlich für das ebenso notorische wie hochfrequente Umschalten — neudeutsch als Zapping, Channel-hopping oder Teleswitchen bezeichnet. In Verbindung mit dem erweiterten Programmangebot eröffnet die Fernbedienung eine neue Dimension der TV-Nutzung: Als eine Art ungehobeltes Editiergerät“ (S. Zielinski) macht sie den Zuschauer zum Arrangeur seiner eigenen Filme. Die Kanäle und Programme funktionieren als Medien-Baukasten, dessen Versatzstücke mittels Remote Control zu neuen individuellen Einheiten montiert werden. Ein Tastendruck fügt Disparates aneinander und dekonstruiert Zusammenhängendes.

Dabei hatte alles so harmlos mit nur einem einzigen Programm angefangen. 1951 gab es in der deutschen West-Zone zum ersten Mal seit Kriegsende wieder Fernsehen. In Hamburg strahlte der Nordwestdeutsche Rundfunk seine erste Sendung aus. Noch im selben Jahr präsentierten die Gerätehersteller auf der Deutschen Industrieausstellung in Berlin 40 verschiedene Fernsehempfänger. Da es damals nur ein Programm gab, machte das Umschalten keine Probleme. Anders sah es bei Lautstärke und Helligkeit aus. Ton und Kontrast der einzelnen Sendebeiträge schwankten zum Teil erheblich und mußten ständig nachreguliert werden. Das hieß aber jedesmal, sich aus dem Sessel quälen, um an die Bedienknöpfe des Gerätes zu kommen. 1953 hatten die Hersteller ein Einsehen und kündigten auf der Ersten Großen Deutschen Funk-, Phono- und Fernsehausstellung in Düsseldorf die Einführung von „Fernbedienungskästchen“ an. Heureka! Die Geburtsstunde der Remote Control hatte geschlagen. Schnell waren die ersten dieser kleinen Helfer auf dem Markt. Zu einem Preis von rund 20 DM konnten Glotzer fortan sitzen bleiben. Das praktische Zubehör stellte sich zumeist als ein elfenbeinfarbenes Kästchen aus Preßkunststoff dar, das über ein Kabel mit dem Fernseher verbunden wurde. Das bescheidende Gerät war ein voller Erfolg: 1956 wurden bereits 85% aller Fernseher mit Fernbedienung angeboten. Einziger Makel: das Kabel. Die störrischen Zuleitungen erweisen sich als tückische Stolperfallen oder verhedderten zu Kabelsalat.

Doch 1960 kam Abhilfe in Sicht. Die Firma Grundig stellte den drahtlosen „Ferndirigenten“ FD 2 vor. An die Stelle des Kabels trat der Ultraschall. In dem Gerät — äußerlich einem kleinen Transistorradio ähnlich — verbarg sich ein Miniatursender. Je nachdem, welche der drei Tasten gedrückt wurde, strahlte der FD 2 für das menschliche Ohr unhörbare Frequenzen aus. Über einen Empfänger im Fernsehgerät steuerten diese Signale dann kleine Elektromotoren und Relais, die die Regler für Helligkeit und Lautstärke bzw. den Programmwähler bedienten. Dazu der Firmenprospekt: „Nur ein kleiner Fingerdruck auf die entsprechende Taste — und schon gehorcht der Fernsehempfänger, wie von Geisterhand gesteuert.“ Doch vorerst blieb die Geisterhand ein teurer Luxus. Zwar konnten ab sofort alle großen Grundig-Fernsehgeräte der Serie „Zauberspiegel“ als Sonderausführung auch mit dem drahtlosen Ferndirigenten erworben werden, bis sich die neue Technik jedoch als Standard durchsetzte, vergingen Jahre. Erst in den 70ern fand die Ultraschall-Fernbedienung allgemeine Verbreitung. Unter so technizistischen Namen wie „telecontrol“ (Nordmende), „teleoptimat“ (Loewe Opta), „telecommander“ (Saba) oder schlicht „Ultraschall-Fernbedienung Luxus 73“ (Philips) gehörte sie bald serienmäßig zu allen Farbfernsehgeräten der oberen Preisklasse. Auch in der DDR galt die Bequemlichkeit der Zuschauer als erste Pflicht: 1976 gab es mit dem „Chromalux 1061“ einen Farbempfänger mit Ultraschall-Steuerung. Viele der neuen Fernbedienungen boten neben der Regulierung von Lautstärke, Helligkeit und Farbe auch Extrafunktionen wie Stummschaltung, Uhreinblendung und das Ein-/Aus- Schalten des Fernsehers. Die wichtigste Verbesserung lag darin, daß anders als beim „Ferndirigenten“, wo nur ein Kanal-Weiterschalten möglich gewesen war, jetzt bis zu 8 Programme direkt und ohne Zeitverzögerung angewählt werden konnten. Damit lagen erstmals die technischen Bedingungen für echtes Zapping vor.

Ab 1976 wurden die Ultraschall- Fernbedienungen zunehmend von Infrarot-Steuerungen verdrängt. Durch die Entwicklung von entsprechenden Sender-Dioden und die Fortschritte in der Mikroelektronik konnten diese Systeme langfristig billiger produziert werden. Außerdem haben Infrarot-Steuerungen den Vorteil, gegenüber äußeren Störsignalen und Frequenzüberlagerungen weitgehend unanfällig zu sein. Bis auf die wachsende Zahl der Kanäle in den achtziger Jahren änderte sich jedoch gegenüber der Ultraschall-Bedienung nur wenig.

Mittlerweile stellen die Fernbedienungen eine Wissenschaft für sich dar. Der menschliche Finger erweist sich auf den Miniatur-Tastaturen nur zu oft als viel zu ungeschlachtes Organ. Grausame Fehlfunktionen (Lautstärke-Explosion, Kanalverlust etc.) sind die Folge. Außerdem ist die Bedienung der Remote Controls so kompliziert geworden, daß selbst nach eingehendem Studium der Betriebsanleitung unklar bleibt, welche Taste was bewirken soll. Dieser „Komfort“ ist längst nicht mehr nur dem Wohlstandsmöbel Fernseher vorbehalten. Die Massenproduktion machte es möglich und billig, sämtliche Geräte der Unterhaltungselektronik fernzusteuern: Alles und jedes hat heute seine Remote Control. Neuerdings ist zu beobachten, daß immer mehr Menschen vor den hohen Anforderungen, die solch ein Controler-Bundle stellt, kapitulieren und atavistisch auf die Regler am Gerät zurückgreifen. Pfui! Denn für den echten zeitgeistbewußten Media-User gibt es nichts Schöneres als die hohe Kunst des Multi-Controlling. Noch schöner ist Fernbedienen nur dann, wenn es nicht ums eigene Gerät, sondern um das des ahnungslosen Nachbarn geht. In den Niederlanden hat sich die Infrarot- Torpedierung fremder Fernseher längst zu einem beliebten Sport entwickelt. Die ultimative Herausforderung für jeden Hardcore-Remoter ist der Advanced-Techno-Mix: Neben den üblichen Apparaten können nun auch fernsteuerbare Garagentore, Staubsauger und Küchengeräte angesprochen werden. Möglich macht's die programmierbare Universal-Fernbedienung! Mit ihr gehorcht alles, was nur irgendwie infrarot zu steuern ist, einem einzigen Fingerdruck. Nach dem Homo erectus und dem Homo sapiens hat jetzt der Homo remoto das Pflaster der Weltgeschichte betreten.

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