: Fassbinder war kein Antisemit
Erinnerung an den Fassbinder-Theaterskandal im Jahre 1985 ■ Von Henryk M. Broder
Wir sind Rainer Werner Fassbinder zu Dank verpflichtet. Mit einem Theaterstück, das er während eines Fluges nach New York hinschrieb, löste er 1985 nicht nur den größten Theaterskandal der Bundesrepublik aus, es gelang ihm auch, ein paar schlafende Hunde aufzuwecken. Deren Gebell stellte dann jene Klarheit her, die sonst, dem allgemeinen Landfrieden zuliebe, mit kommoden Lügen verschleiert wird.
Fassbinder hatte ein Problem mit Juden, in vielen seiner Stücke kommen zwielichtige jüdische Gestalten vor, aber er war kein Antisemit. Daß er in Der Müll, die Stadt und der Tod einen jüdischen Spekulanten auftreten läßt, der keinen Namen hat, beweist allen Anwürfen zum Trotz nichts, schon gar nicht, daß dieser Jude, weil namenlos, stellvertretend für „die Juden“ dasteht. Wer einen solchen Schluß zieht, zeigt nur, daß er selbst vom antisemitischen Virus angesteckt wurde. Würde es an dem Stück etwas ändern, wenn „der reiche Jude“ einen Namen hätte, vielleicht Dr. Kohn hieße?
Auch der meistzitierte Satz des ganzen Stückes, den Hans von Gluck vor sich hin murmelt, reicht für eine Anklageerhebung wegen Antisemitismus nicht aus, begründet nicht einmal einen Tatverdacht: „Und Schuld hat der Jud', weil er uns schuldig macht, denn er ist da. Wär' er geblieben, wo er herkam, oder hätten sie ihn vergast, ich könnt' heute besser schlafen. Sie haben vergessen, ihn zu vergasen. Das ist kein Witz, so denkt es in mir...“
Diese Worte sind einfach genial. Kein Vorurteilsforscher hat das dumpfe Grollen in den Untiefen der antisemitischen Seele besser analysiert, ein Ressentiment zutreffender beschrieben, das den Juden die Schuld am Haß gegen sie gibt, einfach weil sie da sind. Die Wut der Täter auf die überlebenden Opfer, deren Existenz eine schmerzliche Erinnerung und eine unerträgliche Provokation zugleich ist, legt die Grundlage für einen Antisemitismus wegen Auschwitz. Im übrigen würde kein wirklicher Antisemit von sich selber sagen: „... so denkt es in mir...“ Diese Art der reflexiven Distanzierung weist auf eine intellektuelle Haltung hin, die bei antisemitischen Dummbeuteln recht atypisch ist. Fassbinders Stück war allenfalls in dem Sinne „antisemitisch“, daß es als Katalysator für antisemitische Reaktionen diente. Und daraus kann man ihm keinen Vorwurf machen, man sollte dem Autor eher dankbar sein.
Da wurde, im Zusammenhang mit der geplatzten Aufführung, nach einem „Ende der Schonzeit“ gerufen, womit die notorische Forderung der 'Nationalzeitung‘ und ihrer Verbündeten, es müsse endlich ein Schlußstrich unter die Geschichte gezogen werden, von linken Kulturschaffenden aufgegriffen und salonfähig gemacht wurde. Da ließ sich ein bekannter linksliberaler Frankfurter Theaterkritiker während einer Fernsehdiskussion zu der Bemerkung hinreißen, die Deutschen wollten sich „von den Juden nicht erniedrigen lassen“; da sprach sich der Dramaturg des Fassbinder-Stückes ausgerechnet in einem Interview mit einer israelischen Zeitung gegen eine „Tabuisierung des Antisemitismus“ aus, „um als Deutscher nach dem Krieg erwachsen werden zu können“; da dachte es in vielen ansonsten besonnenen Köpfen ganz wirr und schräg. Da wurde um das Grundrecht gekämpft, den Juden endlich ganz unbefangen und unbelastet entgegentreten zu können. In einem Kölner Szeneblatt hieß es: „Schweizer — konservativ! Schotten— Geizhälse! Amis — kulturlos! Japaner — grausam! Während mithin eigentlich allen Nationen eine bestimmte Eigenschaft zugeschrieben werden darf, ist schon höchst verdächtig, wer die Juden nur als ,etwas geschäftstüchtiger als andere‘ bezeichnet... Diese Zeltplane des Schweigens verbietet andererseits einem deutschen Autor, auch nur an eine Figur zu denken, die vielleicht eine spezielle Nase und zwei Kinder namens Ruth und Ephraim hat...“ Ein anderes Szeneblatt, das sonst Vorurteile gnadenlos bekämpft, sprach von einer „Probe jüdischer Power“, sah eine „selbstbewußte, formierte, geschlossene Gesellschaft“ am Werk, der es unter der Devise „Angriff ist die beste Verteidigung“ gelungen war, „schmutzige Wäsche von der Leine zu holen“, und meinte, „Faschismus ohne Antisemitismus“ sei durchaus nach jüdischem Geschmack, was „die historische Wirklichkeit in den iberischen und ibero- amerikanischen Diktaturen“ zeige und auch „ein Fakt in Israel“ sei.
Bei dem Versuch, deutsche Geschichte auf dem Rücken ihrer Opfer mittels eines Theaterstückes zu entsorgen, wurden aus Aktionen Fakten und aus Stammtischparolen Geschichten. Kein Blatt freilich traute sich so weit vor ins verminte Gelände wie der 'Vorwärts‘. Einen Monat vor der geplanten Premiere des Fassbinder-Stückes erschien in dem Organ der Sozialdemokraten ein Artikel über die Vorgeschichte der Aufführung. Unter der Überschrift „Sind Juden niemals böse?“ wurde „der reiche Jude“ aus der Anonymität ans Tageslicht befördert. Die Figur gebe es wirklich, „diesem Mann gehört das halbe Frankfurt, er wird zu den reichsten Männern Deutschlands gerechnet“. Weiter wurde vom 'Vorwärts‘ als „Tatsache“ festgestellt, „daß das immobile Spekulantengewerbe in Frankfurt größtenteils in jüdischen Händen sich befindet...“ Ich bat daraufhin die Redaktion um nähere Aufklärung über die ihr offenbar bekannten „Tatsachen“. Ich wollte wissen, wem die zweite Hälfte von Frankfurt gehört, an welcher Stelle der Reichtum-Statistik der „reiche Jude“ steht, welchen Platz er also unter den Flicks, Krupps, Thyssens, Fuggers, Henkels, Reemtsmas, Thurn und Taxis' einnimmt und welche Erhebung gezeigt hat, daß das Frankfurter Spekulantengewerbe sich „größtenteils in jüdischen Händen“ befindet, ob es also ein Amt gibt, bei dem Spekulanten entsprechend ihrer Volks- bzw. Religionszugehörigkeit registriert werden. So was, dachte ich, kann doch einer nicht einfach so hinschreiben, dafür muß er Belege haben. Auf die Antwort warte ich, sieben Jahre später, noch immer.
Fassbinder hätte an all diesen wunderbaren Reaktionen, Selbstdarstellungen und Entblößungen seine Freude gehabt. So wie es in seiner Kunstfigur Hans von Gluck dachte, so sprach es wirklich aus vielen, die ihre Ressentiments hinter dem Ruf „Freiheit für die Kunst“ versteckten. Fassbinder hätte wahrscheinlich auch die Aufregung der Frankfurter Theaterleute, die sich um die Früchte ihrer Mühen betrogen sahen, nicht verstanden. „Stellt euch nicht so an“, hätte er ihnen zugerufen, „die Bühnenbesetzung ist doch die wirkliche Aufführung, wann ist so ein aufregendes Stück aus dem wahren Leben schon mal gespielt worden?“ Aber statt froh zu sein, daß endlich Leben ins Theater kommt, daß eine Diskussion stattfindet, die das Stück, wäre es normal gespielt worden, nicht bewirkt hätte, reagierten die Theaterleute, allen voran der damalige Intendant, wie hysterische Zugbegleiter, die auf der pünktlichen Einhaltung des Fahrplans bestehen, auch wenn dafür alles plattgewalzt werden muß, was sich auf den Schienen niedergelassen hat. Und dieselben Mediennasen, die Hausbesetzungen und Sitzstreiks vor Kasernen für zwar illegale, aber legitime Akte zivilen Ungehorsams halten, waren nicht bereit, ein paar Juden dasselbe Recht einzuräumen.
So wurde aus einem symbolischen Protest ein Akt der Zensur, ein Anschlag auf die Grundrechte, den die zuständigen Linienrichter, die man sonst auf jedes Foul dreimal hinweisen muß, nicht hinnehmen mochten. Und nebenbei wurde wieder einmal bewiesen, daß Demonstrationen in Deutschland nicht nur polizeilich genehmigt werden müssen, sondern daß auch die fortschrittlichsten Geister zu Ordnungsfanatikern mutieren, wenn ihre eigenen Interessen berührt werden.
Fassbinder wäre von so viel opportunistischer Korrektheit angewidert gewesen. Keine Frage, er hätte sich mit den Bühnenbesetzern solidarisch erklärt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen