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Nationalkraut wächst langsam

Nach dem 1:1 gegen Nordirland hat die deutsche Mannschaft ihre alten Probleme noch nicht gelöst, dafür aber ein paar neue dazubekommen/ Abwehr wacklig, Sturm zahm, Mittelfeld lahm  ■ Aus Bremen Markus Daschner

„Wenn bei der Europameisterschaft in Schweden mehr Mannschaften so spielen wie wir, dann wird Deutschland es schwerhaben“, sagte der nordirische Trainer Billy Bingham nach dem Spiel. Besser konnte man das Dilemma der deutschen Nationalmannschaft beim 1:1 gegen die Nordiren kaum zusammenfassen. Zwei starke Abwehrriegel hatte Bingham vor dem eigenen Strafraum aufgebaut, und gegen eine solche Doppelmauer, hinter der auch noch ein außerordentlich guter Torwart Tommy Wright auf die Bälle lauerte, war am Dienstag abend im Bremer Weserstadion kein deutsches Nationalkraut gewachsen.

Diese eher bittere Erkenntnis wird den Bundesberti Vogts bis zum Beginn der Europameisterschaft noch schwer beschäftigen. Das Mittelfeldteam Effenberg/Sammer verlor beim Spielaufbau immer genau die Zeit, die die Nordiren für den Aufbau ihrer Abwehr brauchten. Riedle und Völler, die beiden Spitzen, warfen gleich mehrere nordirische Schatten, und das Flügelspiel über Brehme und Reuter lahmte bereits auf der Mittellinie. Wie so ein Abwehrriegel im Prinzip zu knacken ist, zeigte die beste Kombination des Abends. Thomas Häßler paßte aus halbrechter Mittelfeldposition steil auf rechtsaußen, wo Guido Buchwald sich freigelaufen hatte. Buchwalds Flanke angelte sich Riedle und köpfte wuchtig — am Tor vorbei.

Schnelligkeit und Kurzpässe, das wäre es gewesen. Allein Häßler drückte in der ersten Halbzeit auf Tempo, machte aber das Spiel nicht, weil es wohl nicht seine erklärte Aufgabe war. Effenberg und Sammer standen sich gegenseitig im Weg. Erst in der zweiten Halbzeit, nachdem Häßler für Doll gegangen war, riß Effenberg das Mittelfeldspiel an sich, plötzlich hatte die Mannschaft jemanden, der sie trieb, der sich linksrechtsüberall anbot, kluge Pässe schlug und Löcher in der nordirischen Abwehr sah. Doch dann haperte es in der Spitze. Riedle und Völler, sie mühten sich emsig, aber ohne Erfolg.

Das sah teilweise ganz nett aus: Doppelpässe (viel zuwenig!) zwischen Reuter und Riedle (15.), Hackentrick-Kombinationen zwischen Völler und Reuter (40.), Kampf um jeden Ball, ja, aber eben ohne Resultat. Und deshalb murmelte Vogts etwas von „zufrieden mit dem Spiel“, aber „nicht mit dem Ergebnis“, was in etwa heißt, daß das Käsebrot lecker war, aber der Käse nicht.

Die Probleme des deutschen Mittelfeldes waren ja schon vor dem Spiel bekannt. Weniger bekannt war, wie unsicher die Abwehr steht, und auch das dürfte Vogts nicht gerade mit Begeisterung zur Kenntnis genommen haben. Buchwald und Binz beispielsweise sahen alt aus, als der nordirische Linksaußen Michael Hughes einen Steilpaß aus der eigenen Hälfte aufgenommen hatte und schnurstracks auf das deutsche Tor stürmte: Die Abseitsfalle schnappte zu, leider aber etwas spät, und auch Buchwalds Spurt auf den Fersen von Hughes erreichte den Nordiren nicht mehr: In der 22. Minute lagen die Nordiren mit 1:0 in Führung. Überhaupt Buchwald: Der trat gegen Nordirland auch gerne mal über den Ball. „Die Abwehr steht“, hatte Vogts immer gesagt, seit letzten Dienstag steht sie nicht mehr.

Das Ausgleichstor fiel eher aus Versehen. Buchwald verpaßte einen indirekten Freistoß von Häßler, dafür traf Binz, der Ball prallte von Buchwald und einem nordirischen Abwehrspieler ab und trudelte ins Tor. Jubel, Trubel, Ratlosigkeit.

Zu einem Sack voller Mittelfeldprobleme hat die deutsche Mannschaft jetzt noch ein paar Fragen mehr zu beantworten. Eine international erfahrenere Mannschaft hätte die Deutschen trotz guter Optik auseinandergenommen, sogar die zweitklassigen Nordiren hatten ein Chancen-Tore-Verhältnis von 1:1. Aber bis zur Europameisterschaft sind es ja noch sieben Tage. Markus Daschner

Nordirland: Wright - Donaghy, McDonald, Taggart, Worthington - Hughes, Magliton, Fleming, Wilson - Clarke (87. O'Neill), Black, (79. Morrow); Zuschauer: 30.000; Tore: 0:1 Hughes (22.), 1:1 Binz (40.)

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