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»Kein öffentliches Interesse«

■ Prozeß gegen Erzieherin wegen Nötigung eines Autofahrers während Verkehrsblockade eingestellt/ Sie hatte sich »höchstens dreißig Sekunden« vor ein Auto gestellt

Moabit. Die acht Frauen in den langen, luftigen Sommerkleidern waren sichtlich aufgeregt. Seit einer halben Stunde standen die schon weit über 40jährigen Damen in dem engen, dunklen Flur des Kriminalgerichts Moabit und warteten auf Einlaß in den Saal 107. Einige begannen sich schon besorgt zu fragen: »Verhandeln die da drinnen etwa ohne uns?«, da kam endlich die ersehnte Aufforderung einzutreten. »Bloß nicht pampig werden«, schärften sich die Damen gegenseitig noch schnell ein, doch alle Aufregung und Ermahnung waren völlig umsonst. Das Schöffengericht unter Vorsitz von Amtsrichter Kujawski stellte das Verfahren ohne Verhandlung ein.

Die Schuld der Angeklagten Irmela Schramm, einen Autofahrer genötigt zu haben, so Kujawski, sei als gering anzusehen. »Es besteht kein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung«, sagte der Richter mit Hinweis darauf, daß der betreffende Autofahrer es nicht für nötig gehalten hatte, als Zeuge zu erscheinen.

Die Erzieherin Irmela Schramm hatte am 27. September vergangenen Jahres zusammen mit Angehörigen der Zehlendorfer Friedensinitiative an der bundes- und berlinweiten Aktion gegen den »Kindertod auf der Straße« teilgenommen und mit Transparenten auf der Kirchstraße/ Ecke Teltower Damm gegen den Verkehr demonstriert. Auf eine Blockade der Kreuzung, wie in anderen Bezirken der Stadt am selben Tag, hatte die Zehlendorfer Friedensinitiative bewußt verzichtet. Sie versuchten den Verkehrsfluß lediglich zu verlangsamen, indem sie während der Ampel-Grünphasen ganz gemütlich die Straße passierten. Bei diesem Tempo blieb es natürlich nicht aus, daß man erst auf der anderen Straßenseite ankam, als die Fußgängerampel schon lange Rot zeigte.

Die Reaktion der Autofahrer war sehr unterschiedlich. Einige stellten ihren Wagen ab und beteiligten sich an der Aktion, andere hupten aggressiv. Zur Kategorie der letzteren gehörte auch der Autofahrer, dem Irmela Schramm ihre Strafanzeige wegen Nötigung verdankte: Der Fahrer war mit erhöhter Geschwindigkeit auf die Kreuzung gefahren, auf der sich gerade die AktivistInnen befanden — die Fußgängerampel zeigte Rot. Irmela Schramm wurde von dem Wagen, der erst auf der Kreuzung zum Stillstand kam, leicht berührt. Sie war darüber »sehr empört«, wollte den Fahrer des Wagens zur Rede stellen und blieb deshalb eigenen Angaben zufolge »höchstens für 30 Sekunden« vor seinem Auto stehen. Der Fahrer hatte nichts Besseres zu tun, als postwendend das nächste Polizeirevier anzusteuern und mit 14 Beamten zurückzukehren. Die Erzieherin wurde zur Personalienfeststellung von der Kreuzung gezerrt.

Während Irmela Schramms Anzeige gegen den Autofahrer wegen Körperverletzung wenig später eingestellt wurde, flatterte ihr selbst ein Strafbefehl des Amtsgerichts ins Haus, laut dem sie zu 3.000 Mark Geldstrafe wegen Nötigung verdonnert wurde; sie legte sofort Rechtsmittel ein. »Bisher habe ich immer Glück mit meinen Richtern gehabt«, trumpfte sie gestern nach der Einstellung im Kreise ihrer Freundinnen von der Friedensinitiative auf.

Irmela Schramm ist den Gerichten keine Unbekannte. Wegen ihrer Teilnahme an einer Blockade des US-Militärstützpunktes Mutlangen 1985 am 40. Jahrestag des Abwurfs der Hiroschima-Bombe hatte sie gleichfalls schon wegen Nötigung vor dem Kadi gestanden. Auch dieses Verfahren war mit einer Einstellung beendet worden. plu

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