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Der Ostdeutsche im Sitzschlaf

■ Alexander Osang von der 'Berliner Zeitung‘ und seine Reportagen aus einem Jahr Zusammengewachse

Das Rheinische Freilichtmuseum Kommern hat für schlappe 5.000 Mark die Wohnungseinrichtung des Thüringer Ehepaars Dorfner aufgekauft — und ihren Trabant 601 gleich dazu. Original DDR, sympathisch und zum Anfassen gewissermaßen. Als Idee stand dahinter, »die ideologischen Grenzen durch die begehbare Ostwohnung abzubauen«. Irgendwie hat das mit dem Abbauen der Grenzen nicht so ganz geklappt. Die Dorfners werden in ihrer Heimatstadt gemieden, als wären sie Verbrecher, und die rheinischen Schulkinder lachen sich über den Trabi kaputt.

Ähnlich unglücklich ist es mit der »spontan beschlossenen« Ortspartnerschaft zwischen Grünwald (bei München) und Neuenhaben (bei Ost- Berlin) verlaufen. Frau Siemens-Direktor Zangemeister und Frau Wegner (gänzlich ohne Titel) sind doch nicht so ganz kompatibel. Die Krankenschwester aus dem Osten ist an reinweißen Schlafzimmereinrichtungen letztlich nur minder interessiert.

Alexander Osang präsentiert diese Bruchstellen neudeutschen Miteinanders gleichermaßen saukomisch wie todtraurig. Der gerade mal 30jährige Journalist von der 'Berliner Zeitung‘ hat seine Reportagen aus zwölf Monaten Zusammengewachse aufgehoben und ein Buch daraus gemacht. Das löste schon vor Erscheinen sanfte Vorfreude aus. Es soll ja nicht wenige Leute geben, die das auflagenstarke, eher biedere Konkurrenzblatt nur kaufen, um nachzusehen, ob Osang was Neues geschrieben hat (ich tue das auch, heimlich, und würde noch seine Ausführungen über Bienenzucht verschlingen). Osangs Talent berechtigte schon vor der Wende zu den schönsten Hoffnungen — als er im Wirtschaftsressort der 'Berliner‘ anfing. Die Leipziger Journalistenschule, im Volksmund »Rotes Kloster« geheißen, hat der Mann ebenfalls unbeschadet überstanden.

Wenn berühmte Leute ihre Erinnerungen schreiben, endet das oft peinlich. 40 Jahre in der DDR gelebt, und im 42. Jahr ist die kompetente Rückblickliteratur picobello im Hardcover ediert. Weder Krenz noch Schabowski, noch Kant konnten es sich verkneifen, uns mitzuteilen, »wie es damals wirklich war« — in der DDR nämlich und überhaupt. Osang kann es, und zwar nicht nur, weil er jünger und weniger berühmt ist. Er hat tatsächlich was zu sagen. Dafür möchte man ihn fast herzen und küssen.

Wie er zum Beispiel über Marxwalde berichtet, heute »Neuhardenberg«. Der ehemalige NVA-Stützpunkt vegetiert in der Ödnis seiner langsamen Auflösung dahin, die von der hastigen Namensänderung nicht aufgehalten wird. Kneipenmobiliar »wie aus dem Klub der Bezirksparteischule«, Sperrholztäfelung — eben das, was 40 Jahre lang als »gemütlich« galt. Ein arbeitsloser Ex-NVA- Offizier bewältigt die Vergangenheit: »Da hat es falsche Vorstellungen gegeben.« Punkt. Das war's. Osang geht der Gegenwart ans banale Fundament, mit unbestechlichem, nie denunzierendem, wenn nötig aber mitleidslosem Blick. Mit einem einzigen Satz kippt er unverfängliche Beschreibungen ins Bezeichnende.

So in Der Mittelpunkt Deutschlands. Geographischer Mittelpunkt Deutschlands zu werden ist für jedes Kaff die Chance: Wirtschaftswunder via Tourismusströme und Souvenirstände: »Eben noch Provinz, plötzlich Metropole.« Vor lauter Aufregung macht einer der Befragten unbefangen einen Schritt zurück nach vorn in die deutsche Geschichte, indem er bei der Mittelpunktsbestimmung die »Ostgebiete« (die jenseits der Oder) zwanglos einbezieht. Das sitzt und läßt keine Fragen offen.

Osangs Buch bündelt Texte für den Tag, keine Kunst für die Ewigkeit — eine Steinchensammlung mit etlichen Juwelen zwischen den Kieseln. Zu den Kleinoden zählt Der Ostdeutsche im Sitzschlaf über die Ex-DDRler im Pauschal-Busreise- Glück: Hypnotisiert lauschen sie Babsi, der Reiseleiterin, denn Babsi hat Türkeierfahrung — und ein leichtes Spiel mit den Ossis. Da ist alles drin, vor allem aber der kleine Unterschied zwischen Ost und West und daß manche gleicher sind als andere. Auch beim gemischten Polizistendoppel, Ost/West im Verhältnis 1:1, das in Charlottenburg Streife läuft. Wachleiter Beyer faßt zusammen: »Sagen wir mal. Menschen sind sie, natürlich, bleiben sie auch. Sagen wir mal. Kollegen zweiter Klasse, ja genau. Das sind sie schon. Aber willig.« Vorurteile hat er aber keine.

Das alles ist zum Heulen und Verzweifeln lustig. Osang begleitet den Einzug jung-dynamischer Wirtschaftsberater ins anhaltinische Geisterdorf Sausedlitz. Osang guckt sich in Bad Frankenhausen noch mal Tübkes Bauernkriegspanorama an (das Bild ist natürlich große sozialistische Kunst, »schon rein flächenmäßig«). Der Reporter Osang muß sich nicht erst als »einer von uns« ausgeben, weil er tatsächlich »einer von uns« ist — und das nie wegschminkt. In seinen besten Texten stecken Schärfe, Zärtlichkeit und die eigenen flauen Gefühle im Magen.

Das Coverfoto zeigt ihn zwinkernd und breit grienend im Mittelpunkt Deutschlands. Genau: grienend. Er macht sich schon mal »in die Hosen« vor Lachen über den ganz normalen Wahn. Vielleicht sollte er irgendwann mal über die Jahre schreiben, als wir Jungpioniere waren. Anke Westphal

Alexander Osang, Das Jahr Eins, Volk und Welt, 19,80 DM.

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