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EIN BESCHEIDENER VORSCHLAG Von Hans-Georg Behr

In unserer zwanglosen Reihe „Mythen ohne Mythos“ nehmen wir heute mal den Einkleider vor, die bedeutendste Figur der Vereinigung und überhaupt. Ohne Einkleider würden wir ja nackt dastehen. Oder noch schlimmer. Der Einkleider aber nimmt ein Gespinst, kleidet damit ein, und plötzlich wird ein wunderbarer Anzug daraus. Oder des Kaisers neue Kleider (Falls Sie an Bahnhöfe böhmischer Dörfer denken: Einkleider stammt aus dem Lateinischen).

Grundgesetzlich kann jeder einkleiden. Heute beispielsweise Sie mich für einen satten Zehntelpfennig. Und die Ossies, Waigel zufolge, für das 4.750fache, täglich und CSU- ehrlich. Aber ein guter Einkleider braucht mehr Stoff, und den müssen wir uns abschnipseln.

Warum wir, hat der wichtigste Finanzberater unseres Bundesfinanzministers per Report aus Baden-Baden erklärt. Wörtlich: „Es ist absolut korrekt, die Kosten der Einheit bei Beziehern kleinerer Einkommen abzuschöpfen. Erfahrungsgemäß dienen kleinere Einkommen vorwiegend dem Konsum, während die Empfänger größerer Einkommen Investitionen tätigen. Diese Investitionen brauchen wir für den Aufbau der neuen Länder, und wir müssen den inflationsfördernden Konsum drosseln.“

Drosseln ist gut, aber richtig. Wo Einkommen für schnöden Konsum (Kartoffeln, Margarine, Aldi etc.) vergeudet werden, muß man den Gürtel enger schallen. Wer mit zuwenig Geld private Lust befriedigt, statt zu investieren, muß teilen. Das heißt Umverkleidung. Sonst klemmt die Einheit und die Volkswirtschaft. Wie Jeans an den Rettungsringen.

Das ist die Schneiderkunst des Teilens. Respektvoll fühlen wir mit den Empfängern (schönes Wort!) höherer Einkommen, die unser Teil nehmen, um zu investieren, und nicht konsumieren. Das hält fit und schlank. Daß sie da nicht verhungern, gibt es für Empfänger Empfänge, während wir Bezieher konsumgeil nach den inflationären Preisschildern gucken.

Nun verstehen wir auch Herrn Seehofers luzide Äußerungen zum Gesundheitswesen. Die Pharmaindustrie investiert ja, während die Kranken konsumieren. Dafür müssen sie — klaro! — abgeschöpft werden. „Wir müssen Kranksein weniger attraktiv gestalten“, hat er auch gesagt, und ich traue ihm zu, daß bald niemand mehr absichtsvoll krank ist. Und wenn sich erst die Bezieher kleiner Einkommen Krankheit nicht mehr gönnen, wird sie auf die Empfänger größerer zur Investition umverteilt.

Merke also: Konsum verhindert Investitionen, beziehungsweise Bezieher behindern Empfänger an solchen und müssen deshalb dorthin abgeschöpft werden. Einfacher: Nur viel Geld ist Geld wert, wenig aber inflationär.

Nun frage ich, ob wir uns nicht diesen dritten der fünf Weisen abspecken können — Marx, verkehrtrum gelesen, tät's ja auch. Aber: Wer liest schon und wer glotzt nicht. Wir halten uns die konsumablen Denker, weil wir nicht in Denken investieren, und das inflationiert die Dummheit. Ungefragt natürlich, was — siehe Dänemark — für die Demokratie ja gut ist.

Ehe meine Halbgötter in Jeans meinen, das sei „linkshaberisch“, schlage ich vor: Da auch Lafontaine (Empfänger) gerade Bezüge freiwillig spendet, sollten wir Bezieher ebenso freiwillig dem inflationären Konsumterror entsagen und uns sommerlich nackt zu Empfängern umverteilen!

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