Polnische Stasi-Listen als politischer Spielball

Warschau (taz) — Eine Diskussion über Spitzel des ehemaligen polnischen Geheimdienstes, darüber, wer von den Kommunisten für Stasi- Dienste bezahlt wurde, und was aus ihnen geworden ist — all das hatte es seit dem Abgang der KP in Polen nicht gegeben. Gestern nun ließ Polens Innenminister Macierewicz im Warschauer Parlament endlich die Katze aus dem Sack. In geschlossenen Umschlägen mit der Aufschrift „Geheim“ übergab er den Vorsitzenden der Parlamentsfraktionen eine Liste ehemaliger informeller Mitarbeiter des kommunistischen polnischen Geheimdienstes. Die Liste ist allerdings nur für den internen Gebrauch gedacht. Nach der gegenwärtigen Gesetzeslage (Gesetz über die Geheimhaltung von Staats- und Dienstgeheimnissen) verliert jeder Volksvertreter, der sich nicht an die Bestimmungen hält, seine Immunität und kann sogar mit einer mehrjährigen Gefängnisstrafe bestraft werden.

Zu der Briefaktion hatte Ende letzter Woche eine knappe Mehrheit des Parlaments den Innenminister beauftragt. Kritiker sehen allerdings rechtsstaatliche Grundsätze in Gefahr. So regle der Beschluß in keiner Weise, aufgrund welcher Kriterien jemand auf die Liste komme. Bisher, so sickerte aus Parlamentskreisen durch, sollen 60 bis 70 Abgeordnete der laufenden Legislaturperiode Informelle Mitarbeiter der Geheimpolizei gewesen sein.

Daß die Geheimakten gerade jetzt geöffnet werden, bringen Beobachter mit dem Mißtrauensantrag der Opposition gegen die Regierung Olszewski in Verbindung. Deren Mitglieder hatten die polnischen Stasi- Akten wiederholt zur Einschüchterung der Opposition benutzt. So beschuldigte Olszewskis Berater Wyszkowski nach einer Auseinandersetzung mit Walesa und Skubiszewski über die Ostpolitik den polnischen Außenminister, „jahrelang Agent der Geheimpolizei SB“ gewesen zu sein.

Die Regierung beschuldigt die Opposition inzwischen, das Mißtrauensvotum gegen Olszewski eingebracht zu haben, um die Offenlegung der Agentenliste zu verhindern.

Olszewskis Chancen, das von Liberalen, Demokratischer Union und Polnischem Wirtschaftsprogramm eingebrachte Mißtrauensvotum politisch zu überstehen, sind indessen weiter gesunken. Auch KPN-Chef Moczulski kündigte inzwischen an, seine Fraktion werde für das Mißtrauensvotum stimmen. Damit haben die Gegner Olszewskis, bestehend aus Liberalen, Union, Wirtschaftsprogramm, KPN und Exkommunisten eine klare Mehrheit. Gegen den Antrag und für die Regierung werden Zentrum, Christnationale und Bauernallianz stimmen. Das Verhalten der Polnischen Bauernpartei ist dagegen unklar. Klaus Bachmann