Eine Kalaschnikow kann nicht sprechen

Der Düsseldorfer IRA-Prozeß geriet für die Bundesanwaltschaft zu einer Riesenpleite Angeklagter Hanratty zu zweieinhalb Jahren verurteilt/ Anklage hatte lebenslänglich gefordert  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Lebenslänglich wollte Bundesanwalt Peter Morre' den 33jährigen Gerard Thomas Hanratty hinter Gittern sehen. Bis zum letzten Prozeßtag ordnete der Karlsruher Ankläger den Iren jenem IRA-Kommando zu, das in der Nacht vom 13.7. 1988 einen Sprengstoffanschlag auf die zu der britischen Rheinarmee gehörenden „ Glamorgan-Barracks“ in Duisburg verübte. Zehn britische Soldaten wurden dabei leicht verletzt. Der Sachschaden belief sich auf 1,5 Millionen Mark. 22 Monate währte die Beweisaufnahme vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht. Während Morre' seine ursprüngliche Anklageschrift nach der Vernehmung von 180 Zeugen in „vollem Umfang“ bestätigt sah und keinen Millimeter zurückwich, wähnte Verteidiger Rüdiger Deckers den Ankläger schon auf literarischen Pfaden. Dessen Einlassungen trügen „romanhafte Züge“, sie seien „ein Paradebeispiel dafür, wie weit man sich in Phantomgebilde flüchten kann, wenn die Tatsachen nicht vorliegen“.

Gestern nun hatte Wolfgang Steffen, der Vorsitzende des 6.Strafsenats das vorerst letzte Wort — und das geriet zu einer einzigen Abreibung für die Bundesanwaltschaft. Verurteilt wurde Hanratty lediglich wegen des vorsätzlichen Verstosses gegen das Waffengesetz und Kriegswaffenkontrollgesetz zu zwei Jahren und sechs Monaten. Für eine Beteiligung des Iren am Duisburger Anschlag, also für den versuchten Mord an britischen Soldaten, habe die Bundesanwaltschaft den Beweis nicht erbringen können. In einer Vorbemerkung ging Steffen zunächst auf Bundesanwalt Morre' ein, der den Senat in seinem Plädoyer aufgefordert hatte, „Mut bei den Tatsachenfeststellungen zu haben“. Scharf wies Steffen dieses Ansinnen zurück. Die „Lücken in der Beweiskette“ dürften nicht durch reine Verdachtsmomente geschlossen werden. Aus der Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, so belehrte der Senatsvorsitzende in scharfem Ton die Bundesanwaltschaft, erwachse „niemals die Freiheit zur Willkür“.

Eine Kalaschnikow AK47 diente der Bundesanwaltschaft als wesentliches Beweisstück. Als die Polizei Hanratty am 30.August 1988 bei dem Versuch überraschte, die deutsch-niederländische Grenze auf einem Feldweg zu überqueren, fand man in dessen Wagen neben zahlreichen anderen Waffen auch das Sturmgewehr. Ein Polizist, der die Duisburger Sprengstoff-Attentäter wegen überhöhter Geschwindigkeit eher zufällig verfolgt hatte, war aus dem Fluchtauto heraus mit der bei Hanratty gefundenen Waffe beschossen worden. Die Bundesanwaltschaft behauptete nun, daß die Kommandos der IRA, die sogenannten „Active Service Units“ (ASU), bei ihren Attentaten „stets dieselben Waffen“ einsetzten, der Besitzer der Waffe somit auch der Täter sei. Obgleich diese Version von britischen Polizeiexperten wie dem Detective Chief Superintendent McClure im Zeugenstand nicht bestätigt worden war, hielten die Ankläger daran fest. Dabei hatte McClure wörtlich gesagt, daß es auch Waffendepots gebe, „aus denen sich unterschiedliche ASUs bedienen können“. Während das Gericht durch diese Aussage die These der Ankläger — ein Mann, eine Waffe — für widerlegt hielt und deshalb den Haftbefehl gegen Hanrattu kurz nach dem Zeugenauftritt von McClure auch aufhob, blieben die Ankläger stur bei ihrem Kurs. Den hatte der damalige Generalbundesanwalt Kurt Rebmann eindeutig vorgegeben. Hanratty und der am 21.Mai dieses Jahres in die USA ausgelieferte ehemalige Mitangeklagte Gerard McGeough galten Rebmann als „zentrale Figuren“ der IRA.

Beide Angeklagten haben sich während des Prozesses weder zur Sache noch zur Person geäußert. Ob Hanratty überhaupt Mitglied der IRA ist, steht dahin. Er selbst hat das in seinem Schlußwort bestritten. Das Gericht ist vom Gegenteil überzeugt. Dafür seien die Waffenfunde während seiner Verhaftung ein eindeutiger Beleg. Aus drei dieser Waffen war bei IRA-Attentaten in Duisburg, Ostende und Roermond geschossen worden. Mit dem Transport ihrer Waffen betraute die IRA nach Überzeugung des Gerichts aber nur „ihre eigenen Leute“. Über die Vergangenheit des Ex-Mitangeklagten McGeough, der am vergangenen Freitag gegen eine Kaution von 250.000 US-Dollar das Gefängnis in New York verlassen konnte, gibt dessen Asylverfahren in Schweden einige Hinweise. Im Rahmen dieses Verfahrens hatte der 33jährige die Mitgliedschaft in der IRA und die Beteiligung an zahlreichen Kommandoeinsätzen in Irland eingeräumt.

Der hochgesichterte Prozeßbunker an der Düsseldorfer Tannenstraße hat schon viele Staatsschutzprozesse gesehen, einen wie diesen jedoch noch nie. Ungewohnt freundliche Töne drangen von der Verteidigerbank, während die Ankläger sich wieder und wieder über die „völlig andere Sicht des angefallenen Beweisergebnisses“ durch den Senat beschwerten. Schon in seinem Plädoyer hatte Verteidiger Deckers den Senat gelobt, weil er sich „um einen fairen Prozeß bemüht“ habe. Diese Erfahrung werde Hanratty aus Düsseldorf „mitnehmen“.

Wohin die Reise für Hanratty nach diesem Urteil geht, bleibt ungewiß.

Die Briten haben schon im Februar 1989 die Auslieferung beantragt. Gegen dieses Auslieferungsbegehren kämpfte die Verteidigung bisher erfolglos. Nach einem Beschluß des zuständigen bayrischen Oberlandesgerichtes in München, steht einer Auslieferung des Iren nichts im Wege. Auch die von der Verteidigung angeführten zahlreichen Beispiele für Mißhandlungen, Folterungen und Fehlurteile durch britische Polizei und Justiz gegen Menschen, die der IRA zugerechnet werden, vermochten die Münchener Richter nicht umzustimmen. Als letzte Hoffnung bleibt dem schmächtigen, immer äußerst gepflegt gekleideten Hanratty, der gestern einen gelösten Eindruck machte, nun das Bundesverfassungsgericht. Bis zur Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts kann er auf jeden Fall in Deutschland bleiben — in Auslieferungshaft.

Gegenüber der taz lobte Hanratty den „objektiven und fairen“ Verhandlungsstil des Gerichts. Diese Art der Wahrheitssuche müsse künftig auch für den politischen Konflikt in Irland gelten. Dann, so Hanrattys Hoffnung, sähe die Welt die britische Okkupation im richtigen Licht.