: Der Straniero auf der Piazza
■ Italienische Vokabeln in deutschen Reiseberichten zum Unterstreichen des Lokalkolorits
Italienische Vokabeln in deutschen Reiseberichten
zum Unterstreichen des Lokalkolorits
B
lättert man in Reisebüchern über Italien, wird man bald auf Sätze stoßen, die sich mit fremden Wörtern schmücken. Etwa auf diesen: „Der ,straniero‘ muß, wenn er an dieser Küste lebt, einen Abend in die Fischerstadt von Viareggio fahren, um reizvolle Dinge aus dem wirklichen Leben zu sehen.“ Oder auf jenen: „Solche Ristoranti gibt es jeweils in Fülle.“ Oder schließlich noch auf einen, der gleich zwei Vokabeln aus dem Italienischen ausleiht: „Die Leute, die vor den vielen Cafés der Piazza sitzen, neben dem grauen Campanile und der Treppe, welche zum Hügel von Castiolione führt, lauschen besonders gerne auf das Schlagen der Uhren.“
Beliebig ließe sich die Aufzählung solcher Sätze verlängern. Denn immer wieder vertrauen Reiseschriftsteller und Reporter, aber auch Texter der Tourismuswerbung, auf den Reiz des klangvollen fremdsprachigen Wortes inmitten eines deutschsprachigen Satzes. Piazza, Campanile, Straniero— man braucht nur drei, vier solcher Vokabeln über einen Text zu streuen, und schon kommt Urlaubsstimmung auf. Die Kunst besteht dann darin, diese Stimmung über den Zeitraum eines längeren Textes zu halten, auszubauen und zu vertiefen. Dazu bedarf es eines Profis, der in der Herstellung von Stimmungen ebenso versiert ist wie im Umgang mit Wörtern.
Die gerade zitierten Sätze stammen von solch einem Profi. Kasimir Edschmid hieß er und war einer der bekanntesten Autoren in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Unter anderem verfaßte er ein mehrbändiges Werk über Italien, das unter wechselnden Titeln in zahlreichen Auflagen erschienen ist. Fast tausend Seiten lang beschwor Edschmid hier die Schönheiten Italiens, und natürlich machte er dabei vom Stilmittel des italienischen Worts im deutschen Text ausgiebigen Gebrauch.
Anläßlich eines Pferdemarktes in der Toskana schrieb er zum Beispiel: „...die Bauern tummeln sich dann eifrig zwischen den Rudeln, um sich in der Menge der Tiere einen neuen Cavallo auszusuchen.“ Natürlich entfaltet das Wort „Cavallo“ im Kontext dieser stimmungsvollen Schilderung sein volles Aroma. Und doch übernimmt die fremdsprachige Vokabel im Verlauf des Textes auch noch eine weit wichtigere Funktion: Sie bürgt nämlich für nichts Geringeres als für die Wahrheit des Berichteten. Stünde hier statt „Cavallo“ „Pferd“, dann könnte dieser Satz sich potentiell auch auf einen Pferdemarkt in Brasilien oder Samarkand beziehen. Das italienische Wort aber wirkt wie die Echtheitsgarantie für das Beschriebene. Zumal es nebenbei auch die landeskundliche Kompetenz des Autors unter Beweis stellt. „Einen Cavallo“ schreibt er und deutet damit an, daß er gut genug Italienisch spricht, um zu wissen, daß „Cavallo“ maskulin dekliniert wird.
Nun gehört noch nicht allzuviel Sachkenntnis dazu, dies zu wissen. Doch ist dieser Satz ja nicht der einzige, der die Sprachkompetenz des Autors demonstriert. Andere Sätze zitieren italienische Redensarten oder Gedichtzeilen von Dante und Leopardi im Original. Dies aber gehört schon nicht mehr zum Stilrepertoire des atmosphärehaltigen Fremdwortgebrauchs, sondern zur Kunst des bildungsträchtigen Zitierens. Wie viele ältere deutsche Italienreisende suchte nämlich auch Edschmid nicht nur Urlaubsstimmungen, sondern auch „Bildungserlebnisse“, wie man das nannte. Und dies prägte seinen Gebrauch italienischer Wörter und Redensarten: Nicht nur dem Kolorit sollten sie dienen, sondern auch der Kenntnisvermehrung. Wer aber darum bemüht ist, darf die Wörter aus der Fremde nicht nur zitieren, er muß sie auch übersetzen oder wenigstens erläutern.
Ob solche Erläuterungen allerdings immer nötig und richtig sind, ist eine andere Frage. Einmal beschreibt Edschmid essende Römer: „Und sie nehmen als Nachspeise wie echte Neapolitaner die Pizza...“, schreibt er da und hält danach den Nebensatz für nötig: „...einen Kuchen, der mit einem Belag von Tomaten, Käse und Rosmarin in den Ofen geschoben wird.“ — Wobei als einzige Frage offenbleibt, ob das „Rosmarin“ eine falsche Übersetzung von „Oregano“ ist oder ob Edschmid einen leicht exzentrischen Pizza-Geschmack hatte... Hermann Schlösser
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