KOMMENTAR
: Es hätte viel schlimmer kommen können

■ Zum Parteienkompromiß in Sachen Reform des Paragraphen 218

Ich bekenne: ich bin ziemlich froh über den zustandegekommenen Kompromiß zum 218. Nein, bitte nicht gleich hauen, Frauen! Und ich empfinde mich auch nicht als Verräterin an „der Sache“. Über das Kompromißpaket ist genug gesagt worden, als daß es der Detailbetrachtung bedürfte. Beleuchtet man den jetzigen Reformkompromiß nur in der Perspektive des Jahrhundertblicks, der Genese des Kampfes der Frauen für politische Rechte und für die Abschaffung des 218, dann ist er zugegebenermaßen ein magerer Kompromiß, dann ist das Ziel nicht erreicht, dann müssen wir weiter sauer sein über den St.-Andreas- Graben zwischen Mann und Frau, zwischen Staat und Gesellschaft. Und auch wenn die letzten 20 Jahre Geschlechter-Diskurs und Frauenbewegung zur Streichung des 218 resümiert werden, bleibt nur die Empörung darüber, daß „so ein lauer Kompromiß“ zustandekam. Warum kann ich dennoch mit dieser parteiübergreifenden Regelung leben?

Pragmatismus in Zeiten, die nachhaltig an der Reformsubstanz der liberalen und zuvor experimentierfreudigeren Gesellschaft nagen, haftet der Ruch der Prinzipienlosigkeit an. Er steht unter Anklage, weil er nicht nur die Utopie, sondern jeden Impetus zur Veränderung der Gesellschaft abwürgt. Angesichts des Verteilungskampfs und im Kontext allgemeiner Verlustängste ist der Pragmatismus tatsächlich oft nicht mehr als ein Mäntelchen, das den konservativen Kern der Politik umflattert.

Auch die PragmatikerInnen gerade aus der SPD, die sich im Falle der Reform des 218 aus dem Fenster hängen, werden deshalb schnell als rückgratlose HasenfüßInnen denunziert. Man braucht sich nur die politischen Debatten, deren Niveau und allgemein das Klima im Fall etwa des Asylrechts anzuschauen, um erstaunt zur Kenntnis nehmen, daß es überhaupt diesen Kompromiß — nach erstaunlich unspektakulären und unprätentiösen Verhandlungen — und auch noch parteienübergreifend gibt. Es hätte viel schlimmer kommen können! 20 Jahre haben wir gekämpft, und das soll alles sein? Ja, das ist tatsächlich das einzig Machbare, hier und heute in dieser Bundesrepublik. Ich kann damit leben. Andrea Seibel