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Die Aserbaidschaner proben die Demokratie

Bei den ersten freien Wahlen Aserbaidschans wird am Sonntag ein neuer Präsident gewählt/ Trotz Kriegs und militärischer Niederlagen scheinen in Baku erste demokratische Strukturen zu entstehen  ■ Aus Baku Ömer Erzeren

Der Uniformierte, dessen Mütze Hammer und Sichel trägt, ist über seinem Stuhl eingenickt. Ganz ohne Kontrolle betreten wir den Flur des Kabinettgebäudes, wo der zentrale Wahlausschuß eingezogen ist. Intizar Halilova, eine rothaarige Dame Mitte vierzig, hat schon zu Zeiten des alten Regimes Wahlen organisiert. Mit einem milden Lächeln erklärt sie das Procedere.

Fast vier Millionen Wahlberechtigte sind aufgefordert, zu den 3.388 Wahlurnen zu gehen, um zum ersten Mal seit über siebzig Jahren frei und geheim ihren Präsidenten zu bestimmen. „Es ist gar nicht einfach“, klagt Halilova, „in einem Land, wo ganze Landstriche vom Feind besetzt sind und Zehntausende auf der Flucht, Wahlen durchzuführen.“

In den Listen der einzelnen Wahlbezirke sind alle Wahlberechtigten der Republik Aserbaidschan, inklusive der 90.000 Wahlberechtigten Armeniern und Aserbaidschanern aus Berg-Karabach, aufgeführt. Für die Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten, die nicht in ihrem eigenen Wahlbezirk wählen können, werden am Wahltag Zusatzlisten erstellt.

Intizar Halilova will den Bürgern das Wählen erleichtern. So hat sie geplant, ein Plakat mit Fotos und Biographien der Kandidaten in allen Wahllokalen aushängen zu lassen. Auch hilft der Wahlausschuß den Kandidaten bei ihrer Wahlpropaganda, indem er deren Wahlkampfposter in der Umgebung verteilt. Doch solche Skurrilitäten am Rande der Wahlen können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Präsidentschaftswahlen ein ganz bedeutender Schritt in Richtung Demokratie ist. Unter den Staaten mit moslemischer Bevölkerung, die ehemals zur Sowjetunion gehörten, ist Aserbaidschan das erste Land, in dem freie, demokratische Wahlen stattfinden.

Das spiegelt sich auch auf den Straßen Bakus wieder. Überall sieht man BürgerInnen, die hitzig darüber debattieren, wer der bessere Kandidat ist. Es gibt eine Presse, die ungeknebelt über den Wahlkampf berichten kann, und im Fernsehen muß jeder Präsidentschaftskandidat den aggressiven telefonischen Fragen der BürgerInnen Rede und Antwort stehen.

Eine Zensur findet offensichtlich nicht statt. „Kommunist“, „Dieb“, „Mafiosi“ oder „Verräter“, dürfen die BürgerInnen die Kandidaten schelten. Insgesamt sieben von ihnen haben die erforderlichen 25.000 Stimmen zusammenzugebracht.

Aussichtsreichster unter ihnen ist der nationalistische Vorsitzende der Volksfront, Ebülfehz Eleibey. Der von vielen AserbaidschanerInnen als Nationalheld verehrte 54jährige war unter dem Sowjetregime Dissident und verbrachte zwei Jahre im Arbeitslager. Er organisierte den Widerstand gegen den Einmarsch der Sowjetarmee im Januar 1990 und vereitelte Mitte Mai mit seinem Aufruf zum zivilen Ungehorsam den De- facto-Putsch des Ex-Präsidenten.

„Nach der Diktatur des alten kommunistischen Regimes kommt es jetzt darauf an, einen demokratischen Staat zu errichten“, sagte Eleibey in seiner Fernsehwahlrede. „Demokratie“ und „Unabhängigkeit Aserbaidschans“ sind die Stichworte Eleibeys, der für bürgerliche Demokratie westlichen Typus schwärmt.

Der bezüglich Berg-Karabach als nationalistischer Falke angesehene Eleibey hat angesichts der militärischen Niederlagen diplomatischere Töne angeschlagen. So verlangt er von der internationalen Staatengemeinschaft, die „armenische Aggression“ zu verurteilen. Doch wie alle anderen Kandidaten läßt er keinen Zweifel an seiner Position: „Berg-Karabach gehört zu Aserbaidschan“.

Allein Itibar Mehmedov hätte dem populären Eleibey als Präsidentschaftskandidat Konkurrenz bereiten können. Auch Mehmedov gehörte einst der Volksfront an und war wie Eleibey politischer Gefangener unter dem alten Regime. In seinem Fernsehauftritt beschimpft er jedoch die Volksfront als „Neobolschewisten“: „Sie wenden dieselben Methoden wie die Kommunisten an.“ Gemeint ist damit die Erweiterung der polizeilichen Vollmachten im Vorfeld der Wahlen. Doch Mehmedov trat von seiner Kandidatur zurück. Seine Begründung: „Es gibt keine Garantie für demokratische Wahlen, weil weite Teile des Landes besetzt sind“. In der Tat hat man vielerorts in der Hauptstadt Baku Polizeisperren errichtet, die Autokofferräume nach Waffen durchsuchen. Eine Maßnahme der Volksfront, mit der in den vergangenen Wochen 25.000 Waffen sichergestellt wurden.

Mehrere Hundert Flüchtlinge aus Berg-Karabach und aus Latschin haben ein Pulk vor dem Präsidentenpalais gebildet. Sie hämmern gegen die verschlossenen Türen. Die Jacke eines Volksfrontvertreters, der versucht, die Menge zu beschwichtigen, wird von angriffslustigen Frauen regelrecht zerfetzt. Bakus Polizei schaut zu, um Eskalationen zu vermeiden.

Die Flüchtlinge, die provisorisch in Krankenhäusern, Schulen und verfallenen Häusern Bakus untergebracht sind, fordern Wohnraum. „Die Volksfront ist wegen Berg-Karabach an die Macht gekommen. Wir haben uns um sie geschart, um unsere Heimatstadt zu verteidigen. Jetzt lassen sie uns fallen“, sagt der 43jährige Lehrer Ali Alijew. Mit Mühe ist er dem armenischen Feuer auf Schuscha entkommen.

„Sie sind machtlos gegen die Armenier, aber mit uns treiben sie ihr Spiel“, schreit eine Frau, Giyasova Halide. Sie droht mit Selbstmord, falls für ihre siebenköpfige Familie keine Wohnung erhält. Die Volksfront lenkt ein. Eleibey stellt sich auf einer öffentlichen Versammlung den Vorwürfen der Flüchtlinge.

Eldar Namazov, der ein Meinungsforschungsinstitut in Baku betreibt, befürchtet allerdings eine geringe Wahlbeteiligung. Dies könnte den Demokratisierungsprozeß gefährden. „Die wahre Gefahr für Eleibey ist die 50-Prozent-Klausel, wonach über 50 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben müssen, damit die Wahlen überhaupt gültig sind. Der Krieg, die Vertreibung und das innenpolitische Chaos haben zu Lethargie und Apathie in der Bevölkerung geführt. Hinzu kommt, daß die AserbaidschanerInnen zum ersten Mal frei wählen können. Noch heute denken viele, es sei noch immer wie unter dem alten Regime. „Egal ob wir wählen, die Volksfront gewinnt ohnehin.“

In der Nacht schrecken uns Schüsse auf. Vom Balkon aus beobachten wir, wie Polizisten einen Mann festnehmen. Einer derjenigen, die laut Volksfrontsprechern in Baku ihr Unwesen reiben und die Wahlen verhindern wollen?

Im Fernsehen verliest ein uniformierter Mann — es ist der Verteidigungsminister — die täglichen Meldungen über Gefechte und Tote in den einzelnen Regionen. Aserbadischan geht zu den Urnen.

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