Ist die Linke schon tot oder noch subversiv?

■ 2.500 BesucherInnen diskutierten an den Pfingsttagen bei der 13. Berliner »Volksuni« in der HUB neue Schwerpunkte und alte linke Grundsatzfragen

Mitte. »Drüber und drunter« ging es über Pfingsten in der Humboldt-Universität. 2.500 BesucherInnen stritten sich trotz des sommerlichen Wetters bei der 13. Berliner »Volksuni« mit über 200 ReferentInnen. Unter dem Motto »Drüber und drunter in Deutschland« ging es nicht nur um deutsch-deutsche Befindlichkeiten, sondern um Macht und Ohnmacht, Herrschaft und Unterdrückung in Partnerbeziehungen, Gewerkschaften, Wirtschaft, der Dritten Welt und in der Kirche.

Auch in diesem Jahr füllten die Klassiker der linken Politikwissenschaft die Hörsäle mit Alt-68ern und Politikstudenten. Wolf-Dieter Narr und der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse debattierten vor über 150 Leuten die »staatserhaltende Funktion des StasiVerdachts«. Elmar Altvater, Ekkehard Krippendorff, Georg Fülberth und Wolfgang Haug referierten laut Programm über Imperialismus, Rassismus, Goethe und Gramsci, wurden aber von ihren ZuhörerInnen immer wieder auf die bei jeder »Volksuni« alles entscheidende Frage zurückgeworfen: Was und wer ist heute noch links? Und, wenn ja, warum?

»Links sind alle, die zwischen oben und unten unterscheiden können«, parierte Krippendorff. »Wir müssen subversiv sein und Herrschaft denunzieren.« Angesichts eines katastrophalen Wahlergebnisses für die CDU in Ost-Berlin und einer abnehmenden Akzeptanz des Militärs sei es angesagt, sich »an der Sache zusammenzutun«: Asyl, Paragraph 218, die militärpolitische Rolle Deutschlands. Während seine Koreferentin Christiane Reymann auf die PDS setzte, verwies Krippendorff auf außerparlamentarische Ansätze. Auch den Dritte-Welt-Gruppen sei es gelungen, mit »vielen Tropfen den Stein systematisch auszuhöhlen« und Bewußtsein zu verändern. Daß die »Linke an einem Nullpunkt« sei, konstatierte hingegen der Marburger Politologe Fülberth. »Wir alle haben verloren.« Weder das Nord-Süd-Gefälle noch die Lage der politischen Gefangenen seien noch Thema. »Statt dessen wollen alle vorwärts nach Bosnien-Herzegowina.« In den Pausen diskutierten die ZuhörerInnen altbekannte Grundsatzfragen. Ist politisches Engagement systemerhaltend, lohnt sich der Marsch durch die Institutionen, ist Imperialismus ein ausgelutschter Begriff oder Realität?

Auch Praktiker und Betroffene kamen bei der Volksuni zu Wort. Der brasilianische Indianer Alvaro Sampaio begeisterte mit einem Vortrag über Produktionsweisen im Regenwald, der ägyptische Journalist Mohammed Osman referierte über »Abschiebungs(hinter)gründe?!« Wider Erwarten ohne Zwischenfälle verlief der Vortrag des Friedensforschers Alfred Mechtersheimer. Der Asta der FU hatte gegen dessen Auftritt protestiert, weil ihm damit ein »Forum zur Verbreitung seiner rechtslastigen Weltsicht« gegeben werde. Mechtersheimer wird insbesondere wegen seiner Kontakte zur rechtsextremen Postille 'Junge Freiheit‘ und seines »nationalpazifistischen« Konzepts kritisiert. Die Veranstalter begründeten die Einladung damit, daß die »linke Ausgrenzungsmentalität« gescheitert sei. Eröffnet wurde die Volksuni von Ex-HUB-Rektor Heinrich Fink. Er bedauerte, daß die Erneuerung der Universität »mit vorhandenen Kräften nicht geglückt« sei. Auch in Diskussionsbeiträgen Finks wurde Resignation deutlich: »In diesem Hause passieren Dinge, die nur noch zynisch sind.« Jeannette Goddar

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