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Belgrader rücken zusammen

Auch in Belgrad sind die Menschen erschrocken über die Bilder vom Inferno in Sarajevo, doch die serbische Bevölkerung sieht darin lediglich das Werk der Muslimanen und Kroaten  ■ Aus Belgrad Roland Hofwiler

„Wer sagt, wer lügt, Serbien sei klein, dem werden wir es zeigen, ins Grab mit ihm hinein.“ Das Kampflied dudelt durch die Lautsprecher der Eisdiele. „Wer sagt, wer lügt, Serbien sei feig'...“ Der Refrain geht ins Ohr. Der Ohrwurm kommt gut an. Milan, Angestellter in der Eisdiele am Marschall Tito Boulevard, lacht: „Ich kann noch ganz andere Sachen auflegen.“ Für ihn ist der Song in Ordnung, „erst recht wenn die ganze Welt gegen uns Serben ist“. Ärgert ihn das? „Das alles ist doch ein Mißverständnis, die anderen machen eine bessere Propaganda.“ Präsident Slobodan Milosevic habe schuld, daß die Wahrheit über den „Bürgerkrieg“ nicht richtig vermittelt würde.

Wie der Student denken viele in Belgrad. Für sie herrscht in Bosnien immer noch ein „Bürgerkrieg“, mit dem sie nichts zu tun haben. Im überfüllten Bus hinüber in die Trabantenstadt Neu-Belgrad wird diese Sicht der Dinge deutlich. Die neuesten Bilder aus Sarajevo, der brennende Wolkenkratzer „Unis“ und die in Rauch stehenden Anlagen der Marschall-Tito-Kaserne, diese Bilder flimmerten gestern auch über die Bildschirme des serbischen Fernsehens. Die Geschosse, so wird berichtet, schlügen im Drei-Sekunden-Abstand ein. In vielen Stadtvierteln seien harte Bodenkämpfe ausgebrochen. Man sieht auch hier, wie Sarajevo immer mehr in Schutt und Asche versinkt, die Zahl der Toten stündlich größer wird, doch dieses Geschehen wird eigenwillig interpretiert. Es seien die Muslimanen selbst, die dies bewirkten, erklären die Fahrgäste. „Wir sollen die Kaserne in Brand schießen?“ schnauzt ein älterer Fahrgast und läßt sich auch nicht auf die Beschwichtigung hin beruhigen, „nicht Sie, sondern die Generäle der jugoslawischen Bundesarmee wollen doch Sarajevo dem Erdboden gleichmachen“. Nein, das läßt er nicht gelten. Die Bundessoldaten seien doch seit Freitag aus der Kaserne in Sarajevo abgezogen, hätten alles schwere Gerät zurückgelassen, genau wie es die UNO-Vermittler gefordert haben. Warum sollte also die Armee noch auf die Kaserne feuern? Auf die Idee, die Armee schieße von den Hängen Sarajevos gerade deshalb auf die Tito-Kaserne, damit das schwere Geschütz letztendlich für die bosnischen Milizen unbrauchbar werde, kommt er nicht. Und auch nicht darauf, daß die muslimanischen Milizen recht haben, wenn sie die serbische Artillerie in den Bergen um die Stadt angreifen.

Die Massenmedien haben weiterhin großen Einfluß auf das Bewußtsein der Bevölkerung. Kritische Fragen werden nicht zugelassen und kaum gestellt. Nach wie vor stehen Kritiker des Regimes unter Druck. Manche Oppositionelle sind weggegangen. An der Haustür von Nedim Popovic steht noch der Name. Doch wer nach dem Klingeln aufmacht, ist ein Unbekannter. Er stellt sich nicht vor. Herr Popovic wohne hier schon lange nicht mehr, er sei schon im letzten Herbst verschwunden. Wohin, das wisse niemand. Anscheinend wohne er in Prag, das hätten Nachbarn gehört, vielleicht sei er auch in seine Geburtsstadt Sarajevo zurückgekehrt. „Aber wie ich an seinen Büchern im Regal ablesen kann, war Herr Popovic ein eigenartiger Mensch, zwar Serbe, aber sicher kein Patriot.“ Er lasse aber alles so, wie er es vorgefunden habe. Er sei ja nur „Verwalter, die Belgrader Stadtverwaltung habe ihm, einem Flüchtling aus Kroatien, diese Wohnung zugewiesen“. Und wie lange wolle er nun hier wohnen bleiben? „Bis Herr Popovic wieder zurückkommt. Aber wer einmal weggegangen ist, der kommt nicht wieder. Ich seh' es an mir, ich und meine Kinder werden niemals nach Kroatien zurückkehren.“

Kroaten, Muslimanen, Ungarn und Albaner in Belgrad haben derzeit nichts mehr zu lachen. Gingen in den letzten Monaten viele Kroaten und Muslimanen „freiwillig“ weg, so müsse man bei den Albanern ein bißchen „nachhelfen“, erklärt eine junge Dame in einem Café. Der vorherige Besitzer war Albaner, den man zwar nicht enteignen konnte, da er seine Konditorei korrekt geführt und die Steuern redlich abgegeben hat, „aber Wege fand man schon, ihn aus Belgrad zu vertreiben“. Die junge Dame, jetzt Besitzerin des Cafés, nimmt das Wort „Vertreibung“ problemlos in den Mund: „Das machen doch die anderen auch, sollen wir Serben dagegen Engel sein?“ Aber wo ist denn nun der albanische Eisdielenbesitzer hingegangen? Sie schüttelt ihre Schultern. „Vielleicht hat er sich Waffen gekauft und ist nach Kosovo gegangen. Aus dem Lautsprecher tönt es: „Wer sagt, wer lügt, Serbien ist klein, dem werden wir es zeigen, Kosovo ist für immer mein.“

„Das ist ein bißchen übertrieben, es gibt noch Kroaten hier, denken Sie nur an die Pensionäre der Armee“, erklärt ein Kunde des Cafés draußen auf der Straße. „Und was ist mit den Serben aus Zagreb passiert? Vom Genozid am serbischen Volk in Kroatien und Bosnien will die Welt nichts wissen.“ Wie überall im ehemaligen Jugoslawien schieben die Menschen auch in Belgrad der anderen Seite die Schuld an dem Krieg und der Vertreibung zu.

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