: Alles nur fast
■ The Fall spielten am Montag im Huxley's
Vermutlich hat jeder, der in den Achtzigern in einer Post- Punk-Hobby-Band gespielt hat, mindestens ein Frühwerk der Fall im Plattenschrank. Keine andere Gruppe hat die alte Punk-Philosophie: »Wenn du zwei Akkorde auf deiner Gitarre spielen kannst, geh und gründe eine Band«, so konsequent in die Tat umgesetzt.
Ihre Stücke schienen nie richtig fertig zu sein, ein durchgehendes Arrangement war nur selten zu erahnen, und der Sound hatte bestenfalls Übungsraumqualität. Dazu kam der, je nach Standpunkt, sehr ausgefallene oder aber völlig einfallslose Gesangsstil Mark E. Smiths. Jenseits jeder Emotionalität nölte er ins Mikro und vermied dabei absichtlich jegliche Melodieansätze. Aber gerade er war und ist das große Faszinosum dieser Band: musikalisch, menschlich, intellektuell.
Während nach dem großen Aufbruch Ende der siebziger Jahre der Punk in England schön postmodern in unzählige Modetrends zerfieselte und jedes Jahr ein neuer Hype geboren wurde, blieben Mark E. Smith und seine Band außen vor: schlecht frisiert, stillos gekleidet und völlig gegen den Trend, dafür aber mit intellektuellem Anspruch.
Mark E. Smith schrieb, von der Öffentlichkeit verachtet oder angebetet, lakonische Boshaftigkeiten über »football vandalism, violent working class, myself« (so seine eigenen liner notes zum Song middle mass), oder aber er philosophierte über das harte Leben auf dem Lande, wo man einen wahnsinnigen Drang zum Saufen entwickelt.
Doch das war einmal. Zumindest musikalisch sind The Fall 1992 keine genialen Dilettanten mehr — wie sie am Pfingstmontag in Huxley's Neuer Welt bewiesen. Aus dem ehemaligen Losgeschrammel ist ein äußerst solides Handwerk geworden. Jeder Ton sitzt, keiner ist zuviel.
Vor allem die Rhythmusgruppe, Steve Hanley am Baß und Simon Wolfsencraft am Schlagzeug, entwickeln einen Drive, der das Publikum gar zu Tanzschritten treibt. The Fall eine Tanzband — früher unvorstellbar. Nur Mr. Smith ist der alte geblieben. Teilnahmslos, ohne das Gesicht zu verziehen, grunzt und raunzt er wie eh und je.
Zu Beginn des Konzerts blickt er gelegentlich auf das Mikro in seiner Hand, als wüßte er gar nicht, was er damit soll. Die besondere Spannung des Abends: zu beobachten, wie er sich langsam, Song für Song, von seinem schlaffen Sprechgesang löst, um am Ende fast richtig zu singen. Aber nur fast. Die ganze Band macht alles nur fast.
Es waren fast normale, fast eingängige Arrangements zu erkennen. Es war letztendlich auch nur fast Tanzmusik. Und Mark E. Smith hätte sich am Ende doch fast beim Publikum bedankt. Aber das war alles die blanke Ironie, jede Geste, jedes Wort, jeder Ton.
The Fall machten sich lustig: über die verschiedenen Stilrichtungen der gegenwärtigen Popmusik, die sie in verfremdeten Bruchstücken gelegentlich übernahmen; über das Publikum, das sie kaum eines Blickes würdigten; und über sich selbst, über den Kult-Status, den sie schon so lange innehaben. Der Monolith der Indie- Szene zeigte allen mit Eiseskälte einer arroganten Meisterschaft, daß er noch nicht ins Museum gehört. Thomas A. Vierich
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