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Britische Armee half bei Morden

Der Armee-Geheimdienst unterstützte aktiv zahlreiche Mordkomplotte gegen Katholiken, in die einer ihrer Agenten, zugleich Mitglied der protestantischen „Ulster Defence Association“, verwickelt war  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

In Nordirland wird nicht nur mit Billigung, sondern mit aktiver Unterstützung der britischen Armee gemordet. Das wies die BBC am Montag abend in einer „Panorama“-Sondersendung nach. Wie die taz bereits im Februar berichtete, hatte der britische Agent Brian Nelson eine entscheidende Rolle bei zehn Morden und zahllosen Mordversuchen gespielt. Doch nun fanden die beiden BBC-Journalisten John Ware und Geoffrey Seed nach sechsmonatiger Recherche heraus, daß der Geheimdienst der britischen Armee Nelson bei zahlreichen Mordkomplotten aktiv unterstützt hatte. Das sei der „größte nachrichtendienstliche Skandal“ in der Geschichte des Nordirland-Konflikts, hieß es in der Panorama-Sendung.

Nelson, ein Protestant aus West- Belfast, war führendes Mitglied der Ulster Defence Association (UDA), einer legalen protestantischen Organisation, auf deren Konto zahlreiche Morde an Katholiken gehen. Gleichzeitig arbeitete er als Agent für die britische Armee. Diese versorgte ihn mit Informationen über „mutmaßliche IRA-Mitglieder“. Das bekannteste Opfer der protestantischen Paramilitärs war der Belfaster Rechtsanwalt Pat Finucane, der sich als erfolgreicher Verteidiger in IRA-Prozessen einen Namen gemacht hatte. Die taz berichtete am 14.Februar 1989, daß das britische Innenministerium den Boden für die Tat bereitet hatte: Staatsminister Douglas Hogg hatte öffentlich behauptet, daß „gewisse Belfaster Rechtsanwälte mit der IRA sympathisieren“ würden. Der Mord an Finucane war von verschiedenen internationalen Menschenrechtsorganisationen bereits damals als „höchst verdächtig“ bezeichnet worden. Nelson erklärte nun gegenüber „Panorama“, daß er die britische Armee vorher über den Mordplan informiert habe. Dennoch geschah nichts, um die Tat zu verhindern.

Die britische Armee ignorierte auch in zahlreichen weiteren Fällen Nelsons Warnungen. Ebensowenig reagierte der Nachrichtendienst, als Nelson umfangreiche Waffenlieferungen für die UDA aus Südafrika ankündigte — im Gegenteil: Die Offiziere halfen Nelson dabei, die schwarzen Listen der UDA mit den Namen und Adressen potentieller Mordopfer auf den neuesten Stand zu bringen. Die meisten dieser Listen sind noch immer in Umlauf, wie die seit anderthalb Jahren andauernde UDA-Mordserie beweist.

In einem Fall führte Nelson das UDA-Mordkommando mit Hilfe der Armee auf die Spur von Brendan Davison, einem führenden IRA-Mitglied. Nach dem Mord stellte sich jedoch heraus, daß Davison als Spitzel für den polizeilichen „Special Branch“ gearbeitet und dafür gesorgt hatte, daß andere Agenten vor ihrer Enttarnung durch die IRA rechtzeitig untertauchen konnten. Aufgrund von Eifersüchteleien und Rivalitäten, die zwischen den verschiedenen Geheimdienstabteilungen offenbar üblich sind, wußte keine Seite über die Aktivitäten der anderen Bescheid.

So flog schließlich auch Nelson auf. Bei der Untersuchung der „verschwundenen Personalakten“, die dann bei protestantischen Paramilitärs wieder aufgetaucht waren, stieß die Polizei auf Nelsons Fingerabdrücke und nahm ihn fest — zum Entsetzen der Armee, die dadurch ihren wichtigsten Agenten verlor. Im vergangenen Februar wurde Nelson wegen Beteiligung an fünf Mordkomplotten zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Prozeßbeobachter sprachen von einem Deal hinter verschlossenen Türen, weil die Staatsanwaltschaft zwei Mordanklagen fallengelassen hatte.

Ein Oberst des militärischen Nachrichtendienstes sagte während Nelsons Prozeß zugunsten des Angeklagten aus und behauptete, er habe in 217 Fällen die Informationen weitergegeben und die geplanten Morde dadurch verhindert. „Panorama“ fand jedoch heraus, daß der Oberst beim Polizeiverhör nur zwei Fälle belegen konnte. Bei einem davon handelte es sich um den Sinn-Fein- Präsidenten Gerry Adams vom politischen Flügel der IRA. Nach Ansicht der Armee hätte Adams' Tod die Hardliner in IRA und Sinn Fein gestärkt.

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