: Die Asylklemme
■ Wg. „Vor dem Ruhestand“: Martin Thomas (Grüne) gegen Karl-Heinz Vorsatz (DVU) im Concordia
hierhin die beiden
Männer
(links den jungen
mit Brille)
(rechts den älteren,
dicklichen
„Bei Asyl laß ich Sie nicht aus der Klemme“ - Karl-Heinz Vorsatz (DVU) zu Martin Thomas (Grüne) - v.r.n.l.Fotos: Steinberg/Archiv
„Seit wann diskutierst Du denn mit Rechtsextremen, werden einige sagen. Aber ich finde, daß wir die Auseinandersetzung wagen sollten.“ Mit einer vorauseilenden Entschuldigung begann der Grüne Bürgerschaftsabgeordnete Martin Thomas am Dienstagabend die Diskussion mit Karl-Heinz Vorsatz von der DVU im Concordia. Völlig überflüssig, wie sich bald herausstellte, denn niemand war da, der sich darüber aufregen wollte. Genau 28 BremerInnen waren auf Einladung des Bremer Theaters gekommen, um der Aktualität des laufenden Bernhard-Stückes „Vor dem Ruhestand“ nachzugehen.
Eine konzentrierte Stille lag über der gesamten Diskussion.
Kaum jemand traute sich aus der emotionalen Reserve, schon gar nicht Karl-Heinz Vorsatz. Routiniert und eloquent spulte er sein Bürgerschafts-Repertoire ab: für die Heimholung Ostpreußens, aber bittschön ohne Gewalt. Dagegen stand Martin Thomas: auch er sachlich, zu Anfang erkennbar unsicher in der Premierenrolle des Grünen Tabubrechers. Ihm war vor allem anzumerken, daß er nicht in die schablonenhafte Antithese „gegen rechts“ verfallen wollte.
Und das Publikum: „Ich hab zu meiner Frau gesagt, laß uns da man früh hingehen. Das wird bestimmt rappelvoll. Und dann waren wir lange alleine“, erzählte ein Mittsechziger. Die wenigen Menschen auf den Theaterplätzen
hatten zum ersten Mal die Gelegenheit, nicht nur über, sondern mit Rechtsextremen zu sprechen.
Es waren vor allem die jungen BesucherInnen, die genau zuhör
„Seit wann diskutierst Du denn mit Rechtsextremen?“
ten, immer wieder nachfragten und sehr ernsthaft Gegenpositionen zu Vorsatz formulierten. „Wissen Sie“, sagte eine junge Frau, „Ihre Naivität, polnisches Gebiet ganz friedlich annektieren zu können, das nehme ich Ihnen nicht ab.“ Doch so sehr sich die Jungen auch mühten, Karl-Heinz Vorsatz war kaum zu packen. Er kennt alle rhetorischen Schlupflöcher, und wo er keines kennt, da
springt er schnell auf sicheres Terrain.
Jede Parallele zwischen Rechtsextremen und Nationalsozialisten, die ihm vorgehalten wurde, konterte er, das sei ein altlinker Pawlowscher Reflex. „Sie als 68er sind doch verantwortlich dafür, daß es so viele Skinheads gibt“, entgegnete er Martin Thomas. „In der Asylfrage sind doch 80 Prozent der Bevölkerung auf unserer Seite.“
Doch gerade auf die jungen Leute machten diese Argumente überhaupt keinen Eindruck. Während auf die 40jährigen der Legitimationsdruck durchaus wirkte, konnten die Jüngeren frei sprechen. „Viele Jugendliche haben Angst, weil es sehr viele Ausländer sind“, sagte ein Mann um die zwanzig. „Aber Sie bieten ja nur scheinbare Lösungen“, sagte er zu Vorsatz. Doch so sehr die Wohlmeinenden sich mühten: die vermeintliche Bevölkerungsmehrheit, die Vorsatz hinter sich geschart sah, drückte wie ein Bleigewicht auf die Argumente. Es schien, als ob alle ihm glaubten und ratlos waren.
Die „Heim ins Reich“-Parolen des DVU-Mannes und die Rede von Ostdeutschland bis nach Königsberg — leicht zu kontern, damit machte er keinen Stich. Da war er ein befremdlicher älterer Herr, kaum ernstzunehmen. Sein plumper Antiamerikanismus — damit konnte schon die radikale Linke keinen Blumentopf gewinnen. Es waren gerade Sätze wie folgender: „Aber die meisten Asylanten sind gar nicht politisch verfolgt“, die, zumal im Gewand des Tabubruchs, große Wirkung zeigten. „Bei Asyl laß ich Sie nicht aus der Klemme“, sagte er zu Martin Thomas.
Am Dienstagabend war niemand ins Concordia gekommen, um sich überzeugen zu lassen, aber die Kraft der extremen Rechten war zu spüren. Martin Thomas sagte: „Die Jugendlichen spüren die Wahltaktik hinter unseren Argumenten. Wir müssen lernen, tatsächliche Konflikte auch anzusprechen, sonst werden die Rechtsextremen noch mehr Stimmen fangen.“ J.G.
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