: „Nächster Irrtum macht Mühe“
„Revolutionäre Zellen“ haben sich in drei Fraktionen gesplittet/ Während die einen weiterkämpfen wollen, beschließen andere RZ-Gruppen ihre Auflösung oder ein Lavieren zwischen „Weiter so“ und „Das war's“ ■ Von Jürgen Gottschlich
Inzwischen dürfte deutlich geworden sein, daß es innerhalb der Revolutionären Zellen (RZ) verschiedene Tendenzen gibt.“ So beginnt das Papier einer Fraktion der „Revolutionären Zellen“, die einen deutlichen Dissens zu zwei anderen Veröffentlichungen aus dem RZ-Zusammenhang anmeldet. Ihr Motto: Der Kampf geht weiter, und der Nachruf auf den Tod von Gerd Albartus ist ein Schlag ins Gesicht des Internationalismus. Damit haben sich nun drei unterschiedliche Fraktionen der RZ öffentlich zu Wort gemeldet: die genannte „Revolutionäre Zellen — Tendenz für die internationale soziale Revolution“, ihr Gegenpol, die Gruppe, die ihre Auflösung bekanntgegeben hat, und, quasi als Vermittler zwischen „Weiter so“ und „Das war's“, die Gruppe, die einen Nachruf auf das RZ-Mitglied Gerd Albartus veröffentlichte.
Entsetzen über die Liquidation Albartus'
Zur Vorgeschichte: Vor kurzem erklärte ein Teil der RZ „das Ende unserer Politik“. In dem Schreiben begründet diese RZ-Gruppe ihre Auflösung mit den vollkommen veränderten Bedingungen linksradikaler Politik in der Bundesrepublik. Bereits im Dezember letzten Jahres hatten sie einen Nachruf auf das ehemalige RZ-Mitglied Gerd Albartus veröffentlicht. Albartus, so teilten sie der erstaunten Öffentlichkeit damals mit, sei von einer palästinensischen Gruppe als angeblicher Verräter ermordet worden. „Wir wollen jeglichen Funken an Zweifel auslöschen, daß es für diese Entscheidung irgendeine Rechtfertigung gibt, die mit unseren eigenen Maßstäben in Einklang steht“, gaben sie ihr Entsetzen über die Liquidation kund. Der Nachruf auf den ermordeten Freund kam einer schonungslosen Selbstkritik an ihrem militanten Internationalismus gleich.
Zumindest diese Fraktion der RZ erklärte nun öffentlich, was Insider bereits seit längerem wußten: Anders als die RAF hat sich die RZ nach der im ugandischen Entebbe blutig gescheiterten Flugzeugentführung 1976 aus der direkten Zusammenarbeit mit den palästinensischen Gruppen weitgehend zurückgezogen. Mit Ausnahmen, zu denen Gerd Albartus gehörte, entschied sich die RZ für die militante Unterstützung des „sozialen Widerstandes“ im eigenen Lande. Eine Position, die, wie die Autoren zugeben, von Albartus als Verzicht auf Antiimperialismus und als Absturz in die Bedeutungslosigkeit heftig kritisiert worden war. Der Kritik von Gerd Albartus schließen sich die RZ-Mitglieder von der „internationalistischen Tendenz“ jetzt an. „Internationale Solidarität bedeutet aktives und kritisches Miteinander der Kämpfenden — und nicht arrogante Besserwisserei, die die konkreten und historisch gewachsenen Kampfbedingungen der Befreiungsbewegungen und der unterdrückten Klassen gar nicht mehr zur Kenntnis nimmt.“
„Solidarität darf nicht Besserwisserei sein“
Vor allem mit den „konkreten Kampfbedingungen“ als Vorwand für brutale Machtpolitik waren die Nachruf-Autoren heftig ins Gericht gegangen. „Die Bereitschaft zur Ermordung eines Genossen läßt sich nicht mit der Härte der Bedingungen [unter denen der Befreiungskampf stattfindet; d. Red.] entschuldigen. Sie ist Ausdruck einer politischen Programmatik, deren einziger Gehalt die Erringung der Macht, und deren Sprache die der künftigen Despoten ist. Daß die Mehrzahl der bolschewistischen Parteien und nationalen Befreiungsorganisationen nach der Devise verfahren ist, daß der Zweck die Mittel heilige und gegen den Feind alles erlaubt sei, wenn es nur der Sache dient, ist kein Gegenargument.“
Für die Verfechter der internationalistischen Linie ist dies jedoch kein Argument. Die Kritik gehe an den Befreiungsbewegungen vorbei, beispielsweise hätten die Palästinensischen Gruppen längst von sich aus die „Aktionsform Flugzeugentführung“ ad acta gelegt, „weil die Entführung beliebiger Menschen aus den imperialistischen Staaten verwischt, daß der Befreiungskampf gegen die herrschenden Klassen und Militärapparate dieser Länder gerichtet ist“. Die Anerkennung „eines rassistischen Staates Israel“ könne jedoch keine Lösung sein. „Eine Lösung kann nur eine Revolution herbeiführen, die allen Menschen eine gleichwertige Existenz erkämpft. Der palästinensische Widerstand hat dies schon vor Jahren formuliert.“
Vor zwei Wochen antworteten die Nachruf-Autoren der Internationalismus-Fraktion mit einer Analyse der Befreiungsbewegungen und einer erweiterten Kritik am linken „Antizionismus“, der „keineswegs so unschuldig ist, wie er sich gibt“. Befreiungsbewegungen, so schreiben sie, waren eigentlich immer ein „Befreiungsnationalismus“, gerichtet auf ein eigenständiges Staatsgebiet mit der Folge der Herausbildung neuer nationaler männlicher Eliten (Kuba, Algerien, Nikaragua). Nationalstaaten könnten keine Perspektive für revolutionäre Veränderungen sein. Daß diese Thesen soviel Aufregung in der entsprechenden Szene auslösten, führen die Autoren darauf zurück, daß sie sich nicht auf die Nationenbildung in Jugoslawien, sondern auf Palästina bezogen haben. In puncto Israel-Palästina- Konflikt hatte die Nachruf-Fraktion festgestellt: „Wenn zwei Ethnien dasselbe Stück Land beanspruchen, geraten zwangsläufig die Inhalte sozialrevolutionärer Veränderung in den Hintergrund.“ Das war im Symphatisantenumfeld offenbar ein erhebliches Zuviel an Verständnis für den Staat Israel, denn betroffen stellen die Autoren jetzt fest: „Der linke Antizionismus gilt als Loyalitätstest. Das Verhältnis zwischen Israel und Palästina darf offenbar nur schwarz- weiß und nicht in Zwischentönen beschrieben werden.“
Verwundert äußern sich die Nachruf-Autoren dagegen über das Bekenntnis der dritten RZ-Fraktion, die sich zu Beginn des Jahres mit einem langen Papier an die Öffentlichkeit wandte und darin ihre Auflösung bekanntgab. Die Auflöser betrachten militante linke Politik auch in Deutschland als nicht mehr sinnvoll. „Wenn alles wegbricht [gemeint ist die Linke nach der Wiedervereinigung; d.Red.], können wir nicht stellvertretend für eine historische Tendenz der BRD seit Anfang der 70er Jahre weitermachen. Unsere Aktionen waren nicht mehr Bestandteil einer breiteren sozialen Praxis. Unser Koordinatensystem bewaffnete Opposition/Vermittlung/Verankerung/Vermassung stimmt nicht mehr.“
„Unser Koordinaten- system stimmt nicht“
Während die Internationalismus- Fraktion dazu lapidar anmerkt, so direkt seien die einzelnen Vermittlungsschritte nie gewesen, deshalb gebe es auch jetzt keinen Grund, wegen der fehlenden Vermittlung aufzuhören, lassen sich die Nachruf- Autoren auf die Argumente ein. Letzter Anstoß zur Auflösung, schrieb die Gruppe, sei die Erkenntnis gewesen, daß auch die Flüchtlingskampagne der RZ letztlich nicht zur Mobilisierung, sondern in die Isolation geführt habe. Rückblickend kritisieren die Auflöser, die Entscheidung der RZ für die Flüchtlingsfrage habe lediglich die Annäherung an ein neues „revolutionäres Subjekt“ bedeutet, mit dem offenbar der Verlust der Arbeiterklasse kompensiert werden sollte. So gesehen wurden die Flüchtlinge instrumentalisiert, es kam zu einer „Flüchtlingspolitik ohne Flüchtlinge“: die RZ kümmerte sich nicht darum, welche Bedürfnisse die Flüchtlinge tatsächlich hatten.
Dazu kam die Frustration, daß die öffentlichen Solidaritätsgruppen die Aktionen der RZ zur Unterstützung der Flüchtlinge „entweder nicht zur Kenntnis nahmen oder politisch nicht verwerteten“. Für die Aussteiger ein Alarmzeichen, daß sie völlig isoliert waren und damit ein Zustand erreicht war, „den wir als Tod von Politik begreifen und als Einfallstor für Beliebigkeit und Terrorismus“.
Die Nachruf-Autoren sind bis zu einem gewissen Grad bereit, in dieser Selbstkritik mitzugehen: „Es ist unser eigener Rassismus, aus dem heraus wir uns ein Bild eines ideellen Gesamtflüchtlings geschaffen haben. In diesem Sinn stimmt der Vorwurf einer Flüchtlingskampagne ohne Flüchtlinge.“ Sie sehen die Flüchtlingskampagne aber nicht am Ende, sondern, im Gegenteil, erst am Beginn: „Trotzdem: An der Aktualität, Bedeutung und zunehmender Wichtigkeit dieser Thematik für die Entwicklung einer militanten Politik in der Metropole besteht kein Zweifel.“ Aus ihrer Sicht ging es der RZ nie darum, die Flüchtlinge an der Kampagne selbst zu beteiligen, sondern einen eigenständigen Kampfansatz zu entwickeln, der auch berücksichtigt, daß die Ziele der Flüchtlinge und die Ziele der RZ nicht identisch sein müssen.
Flüchtlingspolitik ohne Flüchtlinge
Auch die zweite Grundlinie der RZ halten die Nachruf-Autoren nicht für verloren. Der Kampf gegen das Patriarchat wird als zentraler gesellschaftlicher Widerspruch diagnostiziert und für weitere Anstrengungen empfohlen. Dabei ist den Autoren klar, daß sie sich auf eine Reise mit unbekanntem Ziel begeben werden: „Wir begeben uns bewußt und sehenden Auges in einen Prozeß, dessen erklärtes Ziel die Verunsicherung und Demontage männlich dominierten Denkens und Handelns ist. In der Auseinandersetzung um eine antipatriarchale Politik müssen wir einen Begriff davon entwickeln, daß der gewaltsamen sozialen Organisierung der geschlechtlichen Differenz schlechthin die zentrale Bedeutung bei der Entfaltung gesellschaftlicher Widersprüche zukommt.“
Die RZ-Aussteiger bestreiten nicht die Theorie, sondern deren Sinnfälligkeit für die Begründung des bewaffneten Kampfes. Kurz und bündig erklären sie: „In der bisherigen Entwicklung der RZ-internen Patriarchatsdiskussion erkennen wir keinen politikfähigen Ansatz. [...] Jedenfalls hilft der Antipatriarchalismus nicht über das dringendste Problem, über die fehlende Bedingung hinweg, daß der militante Widerstand und der bewaffnete Kampf, so wie wir ihn zu entwicklen versucht haben, eine Angelegenheit von immer weniger Leuten geworden ist und keine soziale Basis mehr zu haben scheint.“
„Widerstand hat keine soziale Basis mehr“
Die Auflöser verabschieden sich aus der RZ-Bewegung unter Hinweis auf die politische Gesamtlage. „Wir sind in den Strudel der Auflösung linker Utopien und kommunistischer Systeme geraten, obwohl unsere Praxis nie auf irgendeine Machtfrage zielte, sondern immer die Entwicklung und Verbreiterung sozialer Selbstbestimmungsrechte von unten zum Ziel hatte. Trotzdem fällt uns der Bankrott des Kommunismus auf die Füße, können wir nicht so tun, als ginge es uns nichts an.“ Für die Internationalisten ist gerade der Verzicht der RZ auf den Willen zur Macht der entscheidende Fehler der Vergangenheit. „Es wird keine Verantwortung übernommen für die Weiterentwicklung eines politischen Prozesses, bei dem es darum geht, die Macht der Unterdrücker zunächst einzuschränken, später in entwickelteren Kämpfen vieler sie zu zerschlagen, um eine klassenlose und antipatriarchale Gesellschaft zu ermöglichen. Wer dieses Ziel wirklich hat, aber nicht die Machtfrage stellt, ist ein(e) Träumer(in), der (die) an den bestehenden Verhältnissen kleben bleibt.“
Die Nachruf-Schreiber wollen sich eine Entscheidung über ihre Zukunft noch offen halten. Zur Standortbestimmung zitieren sie Bertolt Brecht: „,Woran arbeiten sie?‘, wurde Herr K. gefragt. Herr K. antwortete: ,Ich habe viel Mühe, ich bereite meinen nächsten Irrtum vor.‘“
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