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UNO-Aktion in Sarajevo stockt

■ Kämpfe in der Stadt gehen weiter, die Übernahme des Flughafens durch UNO-Soldaten ist blockiert/ Auch Tuzla wurde bombardiert, im Chemiewerk der Stadt sind 500 Tonnen Chlor gelagert

Sarajevo (afp/taz) — Die von Hilfslieferungen nahezu vollständig abgeschnittenen Einwohner von Sarajevo haben von Dienstag auf Mittwoch erneut eine Bombennacht durchlebt. Entflammbare Geschosse setzten zahlreiche Gebäude in Brand. Heftige Gefechte lieferten sich die serbischen und kroatisch-moslemischen Verbände im Stadtviertel Butmir nahe des Flughafens. Damit wurde die von der UNO geplante Wiedereröffnung des Flughafens in Frage gestellt, noch bevor am Mittwoch die ersten UN-Militärbeobachter in Sarajevo eintrafen.

Der Generalstabschef der UN- Friedenstruppen in Jugoslawien (UNPROFOR), General Louis Mckenzie, wollte am Mittwoch mit 30 Soldaten von Belgrad aus in die bosnische Hauptstadt reisen. Dort sollten 40 bis 50 weitere Militärbeobachter und französische Luftfahrtexperten zu ihm stoßen. Der UN-Sicherheitsrat hatte zuvor einen Einsatz von UN-Blauhelmen zum Schutz des Flughafens gebilligt. Die Konfliktparteien in Bosnien-Herzegowina hatten sich am 5. Juni auf die Wiedereröffnung des Flughafens geeinigt, der jedoch weiterhin von serbischen Milizen kontrolliert wird.

Washington wies am Dienstag die Versicherungen Belgrads zurück, daß es keinen Einfluß auf die serbischen Milizen in Bosnien habe. Der bosnische Präsident Alija Izetbegovic sagte in einem am Mittwoch erschienenen Interview mit der spanischen Zeitung 'El Mundo‘, er zweifle nicht daran, daß der serbische Führer Slobodan Milosevic nach wie vor die serbischen Kämpfer kontrolliere, die Sarajevo unter dauerndem Beschuß hielten. Unterdessen gelang es zwei Lastwagen der französischen Hilfsorganisationen „Apotheker ohne Grenzen“ und „Ärzte ohne Grenzen“ am Mittwoch, nach Sarajevo durchzudringen. Sie brachten 3,5 Tonnen Medikamente mit, die sie in den überfüllten Krankenhäusern der Stadt verteilten.

In Serbien und Montenegro wuchs indes die Kritik an der Politik der Führung der Föderativen Republik Jugoslawien (FRJ). In der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica (früher Titograd) demonstrierten am Dienstag Hunderte Studenten und Künstler gegen den Krieg in Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Als Zeichen des Protests entzündeten sie Kerzen vor dem Parlamentsgebäude.

Radio Sarajevo zufolge wurde auch die Stadt Tuzla, 20 Kilometer nördlich der bosnischen Hauptstadt, in der Nacht zum Mittwoch erneut mit schwerer Artillerie beschossen und von Kampfflugzeugen überflogen. Dabei seien auch Geschosse in der Nähe der großen Chemieanlagen von Tuzla eingeschlagen, warnte der Rundfunk. Die serbische Zeitung 'Borba‘ zitierte den Direktor der Chemieanlagen, der erklärte, in Tuzla seien unter anderem 500 Tonnen Chlor und 50 Tonnen Quecksilber gelagert. Experten zufolge würde eine Explosion der Chemielager katastrophale Folgen für die nähere Umgebung, jedoch auch für die Grenzregionen Ungarns, Österreichs und Rumäniens haben.

Der SPD-Außen- und Sicherheitsexperte Norbert Gansel forderte die internationale Gemeinschaft am Mittwoch auf, einer Ausweitung des Krieges in Ex-Jugoslawien rechtzeitig zu begegnen. Die UNO solle vorsorglich Blauhelm-Truppen nach Mazedonien und Kosovo schicken. Da für eine UNO-Aktion in Kosovo die Zustimmung Belgrads erforderlich sei, werde dies „auch ein Test sein, ob Serbien in die Völkergemeinschaft zurückkehren will“.

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