: Die Angst der Pampelmuse...
■ ...vor der Entkernung“: Von Bremens erstem schulübergreifendem Theaterprojekt
Spätabends, kurz vor dem Dunkelwerden, auf dem Schulhof in der Ronzelenstraße. Einzige Kulisse: eine graue Plastikplane, die den Platz nach hinten hin abschirmt. Aber dann werden wir hinter die Plane gebeten — und ich fühlte mich in eine Arena versetzt. Dabei ist da nur ein Riesensandkasten, dahinter kleine, ansteigende Grashügel, Bäume, Büsche, eine halbrunde Mauer aus Ziegelsteinen. Im Sandkasten nichts als eine Vogelscheuche, eine Tür — und ein Koffer, in dem eine Frauenstimme elegisch singt.
Ein berückend schönes Bühnengelände, ein absurder Anfang für das erste Stück der ersten „schul-übergreifenden Theatergruppe“ Bremens: „Die Angst der Pampelmuse vor der Entkernung“ ist ein vom Senator für Bildung und Wissenschaft initiiertes Projekt über die „multi-kulturelle Gesellschaft“, angeleitet von Karl-Heinz Wenzel.
Eher in Säcke, denn Kleider gehüllt, kommen plötzlich von hinten aus dem Gelände die Schauspieler gelaufen, kauern sich zusammen und in den Sand, bedecken sich mit weißen Tüchern. Eine Szene, wie aus einem modernen Tanztheater, das mit archaischen Bildern spielt.
Um unsere Welt abzubilden, erzählen die Schüler „einen psychiatrischen Alptraum aus der Zukunft“. Die Schizophrenen, die Zwangsneurotiker, die Manisch-Depressiven ... — leben, voneinander freiwillig isoliert, auf einem „erdnahen Mond“. Bis plötzlich einige „Schiz“(ophrene), „Para“(noiker) und „Hebe(phrenike)r“, glauben, in ihrem eigenen Territorium nicht mehr leben zu können. Sie gehen ins Land der „Manen“, der Manisch-Depressiven; dort verrichten sie, erniedrigt und ausgegrenzt, die niedrigsten Arbeiten.
Das System funktioniert, bis eine Heberin und ein Mane sich ineinander verlieben. Eine Erzählfolie, die häufig überstrapaziert wirkt, manchmal auch zugetextet mit Aufklärungssätzen, die man akustisch oft nicht recht versteht, vor allem, wenn die Eisenbahn vorbeidonnert. Aber immer dann, wenn die Schüler auf die Kraft der Bilder, der Gesten, der Bewegung vertrauen, wenn sie die Differenzen zwischen den verschiedenen Menschengruppen reduzieren auf sprechende Bilder: da ist die Geschichte überzeugend und faszinierend.
Zum Beispiel: die Heber waschen sich mit Sand, die Manen mit Wasser; die Heberin Jule und der Mane Romane sitzen, wie kleine Kinder, im riesigen Sand
hierhin das Paar
draußen,
einer mit Eimer
überm Kopf
Jule und andererseits Romane im Eimer: So fängt die Liebe an.
kasten, Jule beschmiert sich, um ihre Verlegenheit zu bedecken, mit Sand, Romane hat sich einen Wassereimer über den Kopf gestülpt. Vorsichtig überwindet Jule die Distanz, fängt an, Romane zu streicheln, mit ihren sandigen — für ihn nun nicht mehr: schmutzigen — Händen, er läßt es geschehen, genießt es. Als sie wieder bei den „Ihren“ sind, erzählen zwei Eimer im Sand von ihrer Liebe. Eine Bildersprache — und eine Freilichtbühne —, die man sich anschauen sollte. Christine Spiess
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen