Fahren mit erhobenen Zeigefinger

■ Die Wasserschutzpolizei muß sich mit Anfragen wegen der neuen Verordnung rumschlagen

An Pfingsten war bei uns die Hölle los«, sinniert Polizeiobermeister Hans-Dieter Prachnau. Lässig lehnt sich der 38jährige in den Sessel zurück, während sein Kollege Detlef Giertz am Steuer des Polizeibootes »Seeschwalbe« konzentriert die Spandauer Schleuse ansteuert. »Zwei Temposünder waren darunter, der eine fuhr 57 Kilometer pro Stunde und machte einen derartigen Wellenschlag, daß er die Segelboote in Schwierigkeiten brachte«, erinnert er sich. Nach kurzer Verfolgungsjagd wurde der Bootsbesitzer schließlich zum Stoppen gebracht. Prachnau sind die meisten Raser inzwischen bekannt: »Die Personalien brauche ich mir von manchen Gesichtern gar nicht mehr aufnehmen—die habe ich bereits im Kopf.«

Doch die Übermütigen, so beteuern Giertz und Prachnau, seien nur eine Minderheit unter den Motorbootlern. Arbeit bereiten den beiden Männern von der Wache 1 der Wasserschutzpolizei in Spandau hauptsächlich Bootsbesitzer, die wegen der neuen Verordnung verunsichert sind. Sie gilt seit Anfang Mai dank Bundesverkehrsminister Günther Krause (CDU), selbst ein begeisterter Wassersportler. Trotz der Proteste von Umweltschützern und Senat schaffte er kurzerhand die alte Westberliner Regelung ab, wonach an jedem ersten und dritten Wochenende die Motorboote pausieren mußten, und ersetzte sie durch ein dreistündiges Mittagsfahrverbot an Wochenenden und Feiertagen. Zudem wurde die Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Bundeswasserstraßen — sie umfassen nun einen Großteil der Berliner und Brandenburger Gewässer — auf 25 Kilometer pro Stunde heraufgesetzt.

Weil die Verordnung noch taufrisch ist und bald wieder abgeändert wird, hält sich die Wasserschutzpolizei derzeit bei geringfügigen Übertretungen mit Anzeigen zurück. »Wir heben in Absprache mit der Wasser- und Schiffahrtsdirektion, die für die Bearbeitung von Bußgeldbescheiden zuständig ist, in den allermeisten Fällen lediglich den Zeigefinger«, erklärt Werner Amos, derzeit Leiter der Wache 1 in Spandau.

In der Zentrale der Wasserschutzpolizei am Baumschulenweg schätzt Referatsleiter Ernst Paul die Zahl solcher »Rechtsbelehrungen« seit Saisonbeginn auf »200 bis 300«. Zu Anzeigen sei es bisher nur »in den gröbsten Fällen« gekommen — etwa bei Regelverletzungen, Kollisionen, mangelhafter Sicherheitsausrüstung oder eben bei Verstößen gegen die Geschwindigkeitsregeln. Bisher wurden 44 Anzeigen verzeichnet, wovon rund ein Drittel auf Sportboote und der Rest auf die gewerbliche Schiffahrt entfalle.

Für die 300 Beschäftigten der Wasserschutzpolizei, die in Berlin auf vier Haupt- und eine Nebenwache verteilt sind, wartet ab dem 1.Juli neue Arbeit. Dann soll nämlich die Geschwindigkeit auf breiten Gewässern außerhalb des 100-Meter-Uferschutzstreifens »generell« wieder auf 12 Stundenkilometer zurückgeschraubt werden. So hatte es zumindest Krause versprochen, nachdem der Berliner Senat noch einmal in Bonn nachgehakt hatte. Amos sieht der neuen Verordnung mit Schmunzeln entgegen: »Die Segler haben die Dimension der neuen Regelung noch gar nicht richtig zur Kenntnis genommen.« So müßten seine Männer etwa die pfeilschnellen Katamarane, die bis zu 35 Stundenkilometer erreichen, auch zur Verantwortung ziehen — theoretisch zumindest. Daran mag Referatsleiter Paul nicht so recht glauben: »Segelboote erreichen solche Geschwindigkeiten nur über eine kurze Strecke und für eine kurze Zeit — einen Regelungsbedarf sehe ich da nicht.«

Weitaus schwerwiegender wirkt sich der Wegfall der Registrierpflicht für Motorboote aus. Sie galt bis zu Krauses Verordnung in West- Berlin und erleichterte den Beamten die Verfolgung von Straf- oder Ordnungswidrigkeiten. Doch seit Anfang Mai werden in der zuständigen Kfz-Stelle beim Landeseinwohneramt keine Zulassungsnummern mehr gespeichert und alte aus Gründen des Datenschutzes nicht mehr herausgegeben. Nun ist die Polizei auf das gute Gedächtnis der Beobachter angewiesen. Die Ermittlungen werden so häufig vom Zufall regiert, wie Amos meint: »Zum Nachteil des Beschädigten wird uns nicht die Möglichkeit gegeben, für ihn effektiv tätig zu werden.« Es sei denn, man ist so unvorsichtig wie jene zwei betrunkenen Motorbootfahrer, die einer Zivilbootstreife am Donnerstag in die Hände fielen: Sie hatten auf dem Oder-Havel-Kanal vier Kajaks durch überhöhte Geschwindigkeit zum Kentern gebracht und anschließend sogar die Bergung der Schwimmenden behindert. Severin Weiland