Vom »Recht auf Rausch«

■ Die Liberalen ließen diskutieren: Ist »Haschgift« nun gefährlich oder nicht?

Schmargendorf. Damit hatten die Veranstalter von der FDP nicht gerechnet. Dichtes Gedränge und viel zu wenig Stühle vorgestern abend im Ratskeller Schmargendorf. Die Frage nach einem »Grundrecht auf Drogen?« hatte Kiffer, Eltern, Sozialarbeiter und Lehrer auf den Plan gerufen. Der Lübecker Richter Wolfgang Neskovic, der im Februar das Bundesverfassungsgericht angerufen hatte, um die Verfassungsmäßigkeit des Verbots von Haschisch zu überprüfen, sowie der Berliner Landesdrogenbeauftragte Wolfgang Penkert, bekannt für sein Eintreten für eine drogenfreie Gesellschaft, trafen erstmals in Berlin öffentlich aufeinander.

»Ich wünsche mir einen Tag, an dem Strafrichter nicht mehr an derartigen Diskussionen beteiligt sind«, stellte Nescovic seine Haltung klar. Aus juristischer Sicht verstoße das Verbot von Cannabis (Haschisch und Marihuana) bei gleichzeitiger Duldung von Alkohol gegen das im Grundgesetz verankerte Gleichbehandlungsgebot. 40.000 Alkoholtoten im Jahr stünde in der Bundesrepublik kein einziger bekannter Cannabis-Toter gegenüber, so Nescovic. Cannabis sei erheblich ungefährlicher als Alkohol und führe allenfalls zu einer geringfügigen psychischen Abhängigkeit. Auch das Argument der »Einstiegsdroge« sei wissenschaftlich nicht belegt und wegen der unterschiedlichen Wirkungsweisen von Hasch (entspannend) und harten Drogen wie Kokain (euphorisierend) unlogisch. Gegenüber 2,4 Millionen Kiffern seien außerdem nur 100.000 von harten Drogen abhängig.

»Das Recht auf Rausch gehört zur freien Entfaltung der Persönlichkeit«, so Nescovic — Wolfgang Penkert parierte: Die Lübecker Richter postulierten die Flucht aus der Realität als Grundrecht. »Wir sollen uns am Feierabend in die meditative Versenkung begeben dürfen, damit wir am nächsten Tag besser funktionieren.« Statt eine weitere massenweise Droge zu legalisieren, müsse an der gesellschaftlichen Realität gearbeitet werden. »Wir postulieren ja auch kein Recht auf Gewalt als Bestandteil der Menschheitsgeschichte. Nicht alles, was im Menschen angelegt ist, ist ein Grundrecht.« Auch aus präventiven Erwägungen sei ein Verbot unvermeidlich, so Penkert. Haschisch sei weniger leicht verfügbar. Dem Gelächter im Raum hielt Penkert eine Studie entgegen. 60 Prozent der befragten BerlinerInnen unter 39 Jahren hätten in einer Umfrage angegeben, sich nicht binnen 24 Stunden mit Haschisch versorgen zu können.

Wie jede drogenpolitische Debatte artete auch die vorgestrige in einen ideologiebefrachteten Austausch von Glaubensbekenntnissen aus. Schließlich ist die Schädlichkeit von Cannabis-Konsum bis heute genauso wenig bewiesen wie dessen Unschädlichkeit. In Alaska habe sich gezeigt, daß nach der Legalisierung von Haschisch dieses per Volksabstimmung wieder verboten worden war — und der Konsum daraufhin sank, wußte einer zu berichten. Ein anderer konterte mit einer gegenteiligen Entwicklung in Amsterdam. Eine dritte wußte, daß Kiffer, die drei bis vier Joints in der Woche rauchten, »binnen kürzester Zeit ihrer Sinne nicht mehr mächtig sind«. Die dazugehörenden Studien hatten die Diskutierenden — auch das ist in jeder der Debatten so — »irgendwo zu Hause vergraben«.

»Ob das Zeug nun gefährlich ist, oder nicht, man muß doch dafür sorgen, daß die Leute nicht in die Knäste kommen«, machte eine Sozialarbeiterin auf den Unterschied zwischen Schädlichkeit und Strafbarkeit aufmerksam. Bei 100.000 Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz würden jährlich 30.000 Cannabis- Verfahren geführt, berichtete Neskovic. »16jährige steigen dann im Knast tatsächlich auf Heroin um. Das ist keine besonders freudvolle Umgebung.« Die Parameter zur Bekämpfung des Drogenproblems seien Gesellschafts- und Gesundheitspolitik —, »das Strafrecht ist denkbar ungeeignet«. Penkert hingegen fürchtet, daß mit der Legalisierung das Problem verdrängt werden solle. »Daß wir darüber reden, hat auch etwas mit der Strafbarkeit zu tun.« Dennoch »müssen wir die Konsumenten entkriminalisieren«. Jeannette Goddar