QUERSPALTE: Hotelbettenfüllkunst
■ Die Inflation von Großveranstaltungen und ihre ökologisch tragbare Gestaltung
Kein Dänemark-Effekt in Hannover: bei der Bürgerbefragung zur Weltausstellung Expo zeichnet sich ab, was die Offiziellen ohnehin wollen: ein Ja zum Spektakel. Und eine Großveranstaltung mehr, wie sie uns in diesen Tagen gleich reihenweise durch die Ohren sausen — d.h. in der Regel hinein und wieder hinaus: Weltaustellung Sevilla, Umweltgipfel in Rio, Olympiade Barcelona, Olympia 2000 Berlin, Fuball-EM Schweden... Das globale Dorf hechelt von Super-Gipfeln zu Mega-Ereignissen, und der am „Lagerfeuer des 20. Jahrhunderts“, dem Fernseher, hockende Betrachter fragt sich, was diese Inflation von Weltereignissen eigentlich zu bedeuten hat. Fast scheint es, als ginge mit dem vermehrten Hang zu globalen Familientreffen ein genau gegenteiliger Effekt einher: je öfter sich die Menschen auf planetarischer Ebene treffen, desto schneller geht der Planet zu grunde. Würden Veranstaltungen wie die Öko-Simulation in Rio regelmäßig stattfinden, die Biosphäre, die ohnehin wenig zu lachen hat, könnte bald nicht einmal mehr husten. Zumal die Herren die Lokalität keineswegs so verlassen, wie sie sie vorgefunden haben — oder hat jemand davon gehört, daß z.B. für die Wälder, die für die Mega- Tonnen von Rio-Papieren (bis hin zu dieser taz- Seite) gerodet wurden, umgehende Wiedergutmachung — durch Aufforstung von halb Rußland oder des Sudan beispielsweise — beschlossen wurde?
Daß sich trotz der Verwüstungen, die sie regelmäßig hinterlassen, immer noch Bürgermeister um die Ausrichtungen von Großveranstaltungen prügeln, hat wenig mit Weltkultur zu tun — es ist lokale Hotelbettenfüllkunst. Wann je könnte sich ein Wegelagerer erdreisten, für einen Capuccino 12 Mark zu verlangen — die lokale Lobby für solche Spektakel reicht vom ambulanten Gewerbe bis zur situierten Baumafia. Auf der anderen Seite, der Seite des internationalen Konferenz-Jet-Set, wird ebenfalls Druck gemacht — noch immer, wie Genschman beweist, gilt als Maßeinheit für Prestige der Flugkilometer. Einen Ausweg aus der rasenden Reiserei, der Kontamination durch Konferenzen, scheint einzig die Tele-Kommunikation zu bieten: wenn die Computer-Erweiterung des Telefons aus den heutigen Video-Konferenzen dreidimensionale Live-Ereignisse gemacht hat, sind tägliche Weltgipfel ohne einen Tropfen Flugbenzin möglich. Ob die Ergebnisse dieses globalen Palavers der Erde mehr nützen als das Dinosaurier-Meeting in Rio darf zwar dann immer noch bezweifelt werden — zumindest aber trampeln die Globaltrottel dann nicht mehr alles kaputt. Und das ist doch schon mal was. Mathias Bröckers
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