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Unternehmer aller Länder, vereinigt Euch!

Ein halbes Jahr vor dem EG-Binnenmarkt weben Europas Mittelständler internationale Netze der Zusammenarbeit/ Erklärte Gegner sind alle Monopolisten und Befürworter der „Festung Europa“  ■ Von Ettore Schmitz

Mailand/Berlin (taz) — In Montegrotto Terme, in der Provinz von Padua, wird Europa gebaut. Dort befindet sich zwar weder das Landhaus eines Eurokommissars noch die Tochterfirma eines multinationalen Konzerns. Montegrotto ist der Sitz der Italsicom Spa, einer Kleinstfirma mit 50 Beschäftigten und 13 Millionen Mark Umsatz, die den europäischen Markt von unten aufrollt. Gegründet von Giovanni Busin, einem ehemaligen Dienstboten bei der italienischen Postverwaltung, erlangte Italsicom Weltruhm, als 1990 mehrere Tausend internationale SportjournalistInnen ihre Berichte über die Fußballweltmeisterschaft auf Busins „intelligenten Terminals“ tippten. Die zwölf Pressezentren der italienischen Gastgeberstädte waren nämlich alle mit Schreib- und Übertragungssystemen von Busins Mini- Firma ausgestattet. War der Artikel einmal fertig, brauchte man nur eine Fax- oder Telexnummer einzutippen, und schon kümmerte sich das System eigenständig um die Übertragung. Busins Systeme ließen gleich mehrere Postverwaltungen aufhorchen: aus Holland, Frankreich, Belgien, aber auch aus Brasilien und Argentinien kamen Anfragen. In diesen Monaten bereist Busin die ganze Welt, um seine Zulassungen durchzubekommen. Zu Hause hält seine Tochter die Stellung.

Kleine Spinnen weben an Europa

Die Italsicom ist beileibe kein Einzelfall in Europa. Tausende von europäischen Mittelständlern und Kleinunternehmern bauen an ihrem europäischen Binnenmarkt. Aber ihre Arbeit ist unbekannt, von den allerwenigsten Medien gewürdigt. Auch das Europa, an dem sie bauen, ist im Untergrund: ein kompliziertes, aber höchst flexibles Netzwerk von kleinen und mittleren Firmen, von Beratern und öffentlichen Institutionen wie Industrie- und Handelskammern und Wirtschaftsförderungsgesellschaften.

Dabei geht es nicht um Brosamen der etablierten Wirtschaft. Nach Angaben der EG-Kommission sind von den rund 20 Millionen europäischen Firmen 98 Prozent Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten, die wiederum rund 70 Prozent der gesamten EG-Beschäftigung ausmachen. Genauso wie Siemens, Daimler, Renault, Fiat und Unilever beschäftigen sich auch diese vermeintlichen Nebendarsteller der Wirtschaftsszene mit der gleichen Herausforderung wie die großen Multis: dem Überleben im neuen europäischen Binnenmarkt.

Wo die Großunternehmen mit Finanzkraft vorgehen, setzen die kleinen Firmen Phantasie und Improvisation ein. Eins haben sie allerdings gemeinsam, große wie kleine: sie haben gelernt, daß strategische Allianzen überlebensnotwendig sind, auch wenn die Kleinen sie etwas schlichter „Kooperationen“ nennen.

Die Bananen des Wohlstands

Die kleinen Unternehmen, die sich anstrengen, wirklich europäisch zu werden, konzentrieren sich in zwei „Bananen“. So bezeichnen EG- Funktionäre und das Münchner Ifo- Institut für Wirtschaftsforschung — das vor zwei Jahren eine Studie zu diesem Thema koordiniert hat — die beiden großen Wirtschaftsräume, in denen die Unternehmen am dynamischsten sind, und die die Form von Bananen haben. Die erste Banane ist die traditionelle europäische Industrieschiene, die von Birmingham und Manchester über London nach Belgien, Paris, Holland und dem Ruhrgebiet nach Baden-Württemberg und ins italienische Industriedreieck Genua-Turin-Mailand führt.

Die zweite Banane fängt in Nordspanien an, führt über Marseille, Nizza und Lyon nach Nord- und Mittelitalien, während der obere Rand wiederum über Baden-Württemberg bis nach München führt.

In diesen beiden Bananen wachsen immer mehr urbane Netzwerke, die sich wiederum mit den Firmen vernetzen. Wie der Bericht Europa 2000 der EG-Kommission klarstellt, sind Firmennetzwerke von Kleinunternehmen kaum ohne eine günstige Infrastruktur denkbar. Denn wo Großunternehmen selbst Forschungs- und Entwicklungskapazitäten organisieren können, wo Multis stark genug sind, Personal aus aller Welt anzulocken, brauchen kleine Unternehmen eine dynamische Umgebung, um Kooperationen anzubahnen und Entfernungen zu überbrücken. Das ist der Hintergrund für die Geburt von Euregio, einem Netzwerk deutscher, holländischer und belgischer Grenzkommunen, die schon seit einigen Jahren versuchen, den Binnenmarkt zu realisieren, indem sie bei der Einrichtung von kulturellen, technisch-wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Infrastrukturen gemeinsam vorgehen.

So erklären sich auch Erfolgsgeschichten aus Städten wie Lyon oder dem Mailänder Hinterland sowie dem württembergischen und bayrischen Schwabenland.

Kooperation im Badezimmer

Doch wie funktionieren diese Kooperationen und welchen Zwecken dienen sie? Hinrich Steffen, Geschäftsführer der Hamburger „ExperConsult“ hat ein solches Netzwerk mit Partnern in Frankreich, Großbritannien, Spanien, Holland und Italien aufgebaut. ExperConsult entstand in den achtziger Jahren aus einer kleinen Dortmunder Softwarefirma, der ExperTeam. Diese hatte für die EG eine Pilotstudie erstellt über den Hang zur Internationalisierung des deutschen Mittelstandes. In Brüssel trafen sich bei der damaligen Task-Force für kleine und mittlere Unternehmen eine Reihe von Gleichgesinnten aus ganz Europa. Dazu gehörte auch der Römer Enrico Ricotta, Geschäftsführer der Beratungsfirma „Strategie e Accordi“, der sich der Studie der Internationalisierung der italienischen Unternehmen annahm. Ricotta ist ein Fan von Netzwerken, weiß aber auch um ihre Sensibilität: „Es sind Pipelineverbindungen aus einem Plastik, das sich selbst zerstört, wenn keine Flüssigkeit durchfließt.“ Flüssigkeit heißt in dieser Metapher Information, aber auch Geschäfte.

Gemeinsam und individuell bieten Ricotta und Steffen den Unternehmen Beratung bei der Internationalisierung. Sie beraten aber auch Wirtschaftsförderungs-Gesellschaften, um die Industrie- und Gewerbestandorte attraktiver zu gestalten. So kommt es, daß sich ein Netz spannt zwischen den Mittelständlern, die von Ricotta und Steffen beraten werden, den Wirtschaftszonen und den urban networks Europas. Eines der vielen kleinen Netze, die den Kontinent bedecken, und die aktiv am Bau des Binnenmarktes beteiligt sind.

Genauso wie die deutschen Badezimmerzubehör-Hersteller, die seit fünf Jahren gemeinsame Informationskampagnen starten und sich gegenseitig bei ihren Internationalisierungsversuchen unterstützen. So entwickelten die beiden Hersteller Keuco aus Hemer in Westfalen und Friedrich Grohe die Marke „Eurotrend“, die sie gemeinsam vermarkten. Die deutsche Badezimmerzubehör-Branche kontrolliert rund 40 Prozent des Weltmarkts und besteht überwiegend aus kleinen und mittleren Unternehmen, die in ihrer Verbandsarbeit, aber auch bei internationalen Messen als „System“ auftreten. Nach dem einfachen Prinzip, daß Kooperation stark macht.

Entsteht so ein Mythos des Mittelständlers als dem wahren Motor des Binnenmarktes? „Keineswegs“, meint Piero Bassetti von der Handelskammer Mailand, „auch hier gibt es enorme Unterschiede zwischen den innovativen Eliten und dem Fußvolk. Doch gerade deshalb bauen wir auf eine Zusammenarbeit aller Industrie- und Handelskammern in Europa, den Wirtschaftsverbänden und den Kommunen und Ländern. Denn diese Unternehmen sind das wirtschaftliche Rückgrat Europas.“ Die Europäische Gemeinschaft tut seit 1987 immer mehr für den Mittelstand. Es wurde ein EG-Kommissar zur Betreuung dieser kleinen Unternehmen ernannt, aus der kleinen Task-Force für die kleinen und mittleren Firmen wurde die Generaldirektion 23, und danach liefen die ersten Projekte an, angefangen bei den Euro-Infocentern. Diese nunmehr 211 Informationsschalter, die in der ganzen EG verstreut sind, werden von Verbänden und den Handelskammern betreut und fangen — nach einer etwas sperrigen Anfangsphase — an, tatsächlichen Nutzen für die Unternehmen zu entwickeln. Dort lassen sich Informationen über Fördermittel aus der EG-Schatulle genauso erhalten wie Adressen von möglichen Geschäftspartnern im Ausland.

Auch die Euro-Infocenter sind Teil eines Netzwerks. Die Leiter dieser Informationsbüros treffen sich regelmäßig mit ihren europäischen Kollegen und tauschen nicht nur Gedanken, sondern auch Unternehmensgeschichten aus. „Damit ist es uns möglich, nicht nur ein paar Unternehmen, sondern gleich ein System von Firmen aus unserer Region mit Systemen aus anderen Regionen zu vernetzen“, erklärt Alessia Borion vom Euroschalter Venedig, die am „Europartenariat 1991“ in Leipzig teilgenommen hat.

Europartenariat ist eine Art Fusions- und Akquisitionsmesse kleiner Unternehmer aus der EG, das jedes Jahr in einer anderen europäischen Stadt organisiert wird. In Leipzig wimmelten Vertreter von 1.019 Firmen durchs Messegebäude und verständigten sich mit Händen, Füssen und den wenigen freien DolmetscherInnen. Nach dem Erfolg der Veranstaltung für die mehr als 160 italienischen Kleinstunternehmer entschied die Confartigianato, der italienische Handwerksverband, ein Büro in Berlin zu eröffnen.

„Wenn man zuhause schläft, wandere ich aus“

Immer öfter erwägen heute auch kleine Firmen die Verlegung ihres Hauptsitzes ins europäische Ausland. Laut der EG-Studie Europa 2000 war Anfang der siebziger Jahre die Standortverlegung für 70 Prozent des Gesamtpersonals europäischer Unternehmen ein Tabu. Heute ist die Zahl auf 50 Prozent geschrumpft. In anderen Worten: Immer mehr Firmen überlegen sich, Personalstöcke im Ausland aufzubauen — gerade wenn sie mit ihrem heimischen Umfeld unzufrieden sind. Renzo Belcaro, Zulieferer von BMW und Präsident des Mittelstandsverbandes Api in Vicenza, klagt über seine Landsleute: „Wir sind zwar sehr innovativ hier in Italien, aber wir sind die geborenen Individualisten. Ich kann aber nur international wettbewerbsfähig sein, wenn ich mich vernetze. Wenn also meine italienischen Mitbewerber sich sträuben, mit mir zusammen ins Ausland zu ziehen, dann verbünde ich mich eben mit deutschen Mittelständlern. Ich glaube sowieso, daß das Europa von morgen ideal wäre, wenn man deutsche und italienische Charakteristika vermischt.“ Belcaro ist gerade dabei, mit einem deutschen BMW-Zulieferer Kooperationen anzubahnen.

Jedenfalls sehen nicht nur die italienischen Vordenker die Chancen transnationaler Firmenbündnisse. Im Dezember dieses Jahres treffen sich über 3.000 Mittelständler und Handelskammervertreter aus ganz Europa in Nizza. Unter dem Schlagwort „Networking Europe“ soll die Revolution der kleinen (Wirtschafts-)Leute angekündigt werden. Ihre Gegner sind alle Monopolisten, alle Befürworter einer „Festung Europa“, alle nationalen Bürokratien, alle innovationsarmen Unternehmen, all diejenigen, die die Impulse des Marktes und der VerbraucherInnen verschlafen, und die die Belange der kleinen und mittleren Unternehmen beschneiden wollen.

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