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Acht Ecken für die Hauptstadt Berlin

Bundesregierung will ein Gebäude für die Außenstellen von acht Ministerien/ Senat gegen die Spreeinsel als Standort/ Alternativquartier im Rohwedder-Haus/ Bahn Berlin-Bonn in vier Stunden  ■ Aus Berlin Dieter Rulff

In Berlin began gestern der städtebauliche Ideenwettbewrb für die Gestaltung des neuen Parlamentsviertels. Ein Jahr nach dem Beschluß des Bundestages nimmt damit der zukünftige Regierungs- und Parlamentssitz erste Gestalt an. Auf 620.000 Quadratmeter Fläche werden am Spreebogen nördlich des Reichstages das Bundeskanzleramt und die Parlamentsneubauten untergebracht. Insgesamt ist dort eine Hauptnutzfläche von 240.000 vorgesehen. Entsprechend den Wünschen des Kanzlers sollen die Gebäude „fußläufig" erreichbar sein. Über die Wettbewerbsergebnisse wird Ende des Jahres eine Jury entscheiden, der die Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth, Bundesbauministerin Irmgard Schwaetzer und Berlins Stadtoberhaupt Eberhard Diepgen angehören.

Ein Tunnel unter der Regierung?

Mit der Ausschreibung ist die monatelange Auseinandersetzung zwischen Bonn und Berlin um die Gestaltung des Areals vorläufig beendet. Strittig ist noch die Untertunnelung des Geländes für die von der Berliner Verkehrsverwaltung gewünschte zentrale Eisenbahnverbindung. Diese stieß bislang wegen der damit verbundenen hohen Kosten in Bonn auf Ablehnung. Zudem wollte man den zentralen Bahnhof, wegen der damit verbunden Belastungen, nicht in direkter Nähe des Kanzleramtes sehen.

Neue Auseinandersetzungen drohen um das von der Bundesregierung gewünschte „zweite politische Zentrum" in der Stadt. In Berlins historischer Mitte auf und an der Spreeinsel, sollen der Bundespräsident sowie eine Reihe oberster Bundesbehörden, die ihren Hauptsitz nach Berlin verlegen, untergebracht werden.

Die Bundesregierung plant zudem ein „Haus der Ministerien“. Dieses wird als eine „kostengünstige, lokale Zusammenlegung“ der Bundesministerien geplant, die ihren zweiten Dienstsitz in Berlin erhalten. Zur „angemessenen Repräsentanz“ ist, „in Anlehnung an Pentagon“ an ein Oktogon, einen achteckigen Gebäudekomplex gedacht. Ein entsprechendes Konzept hat eine Unternehmensberatungsfirma im Auftrag der Bundesregierung erstellt. Dieses Papier ist Bestandteil des Berichtes über den Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin, den das Bundeskabinett letzte Woche beschloß.

Ein solches Oktogon wird allerdings nicht an die Dimension seines fünfeckigen amerikanischen Vorbildes heranreichen. Denn in Berlin sollen lediglich zehn Prozent der Belegschaft der Ministerien untergebracht werden, die ihren Stammsitz in Bonn behalten. Nach dem bisherigen Stand des Personals wären daß gut tausend Beamte und Angestellte. Sollte das Verteidigungsministerium mit seiner Berliner Dependance, wie beabsichtigt, in den Bendlerblock in der Staufenbergstraße ziehen, würde sich diese Zahl halbieren.

Für die Gebäudeform eines Oktogon spricht in den Augen der Bonner Regierungsberater die „klare optische Profilierung in Berlin“ und die „Individualität von Einzelministerien“. Auch wenn zur architektonischen Form das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, strebt die Bundesregierung „aus Gründen der Kostenoptimierung grundsätzlich eine gemeinsame Unterbringung dieser Ressorts“ an. Im Zentrum soll auch der Bundespräsident seine Residenz erhalten. Er soll das Kronprinzenpalais und das Prinzessinenpalais beziehen und östlich davon einen Neubau erhalten. Zudem sollen in der Mitte weitere vier Ministerien untergebracht werden. Auf und an der Spreeinsel könnte es also eng werden. Die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung will jedoch eine Bebauung der zentralen Fläche der Insel, des jetzigen Marx-Engels- Platzes, auf jeden Fall vermeiden. Sie ist gegen ein reines Regierungsviertel, sondern strebt eine Mischnutzung der historischen Mitte Berlins an. Deshalb will der Senat, so der Staatssekretär für Stadtentwicklung, Wolfgang Branoner, der Bundesregierung für ihr „Haus der Ministerien“ ein Quatier anbieten, daß „ideal dafür wäre“ — das alte „Haus der Ministerien“ der ehemaligen DDR, das zuvor bereits das Reichsluftfahrtsministerium beherbergte. Dort residiert zur Zeit noch die Treuhand.

Regierungsgebäude oder NS-Mahnmal?

Auf Widerspruch der Berliner Verwaltung stößt auch das Ansinnen der Bundesregierung, ihren Raumbedarf „schwerpunktmäßig“ im Bereich der ehemaligen Wilhelm-Straße/ Leipziger Straße zu decken. Diese Areal hält der Senat wegen der historischen Belastung für nicht geeignet. Branoner empfiehlt, sich dort, im ehemaligen NS-Regierungsviertel, eher Gedanken über ein Mahnmal für die Opfer des Holocaust zu machen.

Die Verbindung zwischen der alten und der neuen Hauptstadt plant die Bundesregierung mehrgleisig. Bis Ende des Jahrs soll die Möglichkeit einer Transrapidstrecke geprüft werden. Doch auch ohne die Magnetbahn werden die jeweiligen Dienstsitze schnell erreichbar sein. Denn mit Fertigstellung der Schnellbahn Berlin-Hannover im Jahre 1997 werden die Ministerialen, so ihre Berechnung, „ohne Zwischenhalt" lediglich vier Stunden brauchen. Gleichwohl will die Bundesregierung auf Flugzeuge nicht verzichten. Sie geht in ihrem Beschluß von letzter Woche davon aus, das die Abfertigungskapazitäten des innerstädtischen Flughafens Tegel „durch den Bau eines Interimsterminals" bis 1994 um weitere 2,5 Millionen Passagiere erhöht werden. Nach Ansicht der Berliner Verkehrsverwaltung sind das jedoch lediglich „ursprüngliche Überlegungen", die „nicht mehr aktuell sind". Denn die Flughafenholding habe bereits am 1. Juni beschlossen, auf diesen monatelang umstrittenen Interimsterminal zu verzichten und ihn statt dessen im alten Ostberliner Flughafen Schönefeld zu errichten. In der Flughafenholding ist neben Berlin und Brandenburg auch der Bund vertreten. Doch dieser Beschluß, so scheint's, ist noch nicht bis Bonn durchgedrungen.

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