: Frauen — zum Glück nicht an der Macht?
■ Im Symposium »Welten — Gegenwelten« diskutierten Frauen aus Lateinamerika und Deutschland über feministische Utopien
Typisch Frau, typisch Mann? Während manche männlichen Diskutanten auf dem Utopie- Symposium »Welten — Gegenwelten« im Haus der Kulturen der Welt eher cool aneinander vorbeiredeten, kam bei den beiden Veranstaltungen »Frauen — die letzte Kolonie?« und »Das feministische Modell — Utopie oder Realität« ein konzentrierter weiblicher Diskurs zustande.
Für Marta Lamas, eine der profiliertesten Feministinnen Mexikos, trägt die feministische Utopie das Versprechen auf »Beseitigung der sozialen Ungleichheit, Demokratisierung, Frieden und Umwelterhaltung« in sich. Die mexikanische Frauenbewegung sei jedoch weit davon entfernt, das realisieren zu können. Ihr Aufschwung in den 70er Jahren sei schon in den 80ern gestoppt worden, ihr Einfluß auf die Politik und den herrschenden Machismo sei gering geblieben. Nicht nur in Mexiko, weltweit finde »der Rassismus, Chauvinismus, Sexismus und Neofaschismus in das Herz der Jugend«: »Wir erleben eine dunkle Nacht.« Dennoch biete der Prozeß der Modernisierung, der in Mexiko via Freihandelsabkommen als Integration in den amerikanischen Markt exekutiert wird, gewisse Chancen auf Demokratisierung und »Verminderung der Geschlechterpolarisierung«, auch wenn »Feministinnen an der Fähigkeit der Marktwirtschaft zweifeln, die großen Krisen zu lösen«.
Veronika Bennholdt-Thomsen, Soziologieprofessorin aus Bielefeld und Feldforscherin in »matriarchalen« Regionen Mexikos, präsentierte dagegen eine grundsätzliche feministische Kritik am Utopiebegriff. Die Mitautorin des Buches Frauen — die letzte Kolonie stellte die historische Gleichzeitigkeit der männlichen Unterwerfung der Natur, der Kolonien und der Frauen heraus, der Conquista und der Hexenverfolgung. Mit dem Ergebnis, daß bis heute Frauenarbeit »als Liebe umdefiniert und angeeignet wird«. Auch der marxistische Utopiebegriff trüge »das Bild der kolonisierten Frauen schon in sich«: In ihm würde das transzendente »Reich der Freiheit« jenseits des »Reiches der Notwendigkeit« gesetzt und somit das alltägliche Leben, Kinderaufziehen und Windelnwaschen entwertet. Ihr Gegenmodell: »die Politik der Immanenz« und die »Subsistenzperspektive«: »Die Konzentration auf das Überleben und Bewahren ist die Utopie, die keine sein soll«. Hierzulande müßten die Feministinnen den kolonialen Zusammenhang in den Waren, »in den Blumen aus der Sahelzone oder den Wintererdbeeren aus Mexiko« aufspüren. Sie erwähnte es nicht, aber eine solche auf Verbraucherinnendruck eingeführte Kennzeichnungspflicht wäre tatsächlich eine Perspektive für »kolonisierungsfreien« Konsum. Statt dessen hob sie als Alternative zur Einmischung in das herrschende Parteiengefüge die »Überwindung der mangelnden Wertschätzung gegenüber dem Alltäglichen« hervor: »Das, woran wir arbeiten, soll auch unser sein: das Haus, die Möbel, die Kinder.« Ein Vorschlag, der im Publikum auf Widerspruch stieß: »Sich auf das Häusliche zu beziehen ist Wind in den Segeln der Männer.« Und auch bei Marta Lamas: »Man muß das ganze Panorama der Politik nutzen, um Raum zu gewinnen.«
Wieder ein anderes Gegenmodell bot in der zweiten Diskussionsrunde die chilenische Kulturkritikerin Nelly Richard. »Wir sollten nicht den Männern den Diskurs über Moderne und Postmoderne überlassen«, befand sie und holte zu einem strukturalistischen Referat über die Kategorien von Identität und Macht und die »Ketten der Subordination von Frauen und Kolonien« aus. Die maskuline Macht, so ihre These, habe viele Knotenpunkte geschaffen, die Familie, das Fernsehen, die Kultur, mit der sie ihre Herrschaft wechselseitig abstütze. Ergo müsse sich die feministische Kritik als Herrschaftskritik gegen die ganze Kette von (europäischem) Kolonialismus und Imperialismus und (hausgemachtem) Militarismus wenden. Schon unter der Diktatur Pinochets hätten die Frauen unter schwierigen Bedingungen »den ersten feministischen Kongreß Lateinamerikas« veranstaltet, in dem das Feminine als »Metapher für die marginalisierte Zone, die Peripherie, den abhängigen Bereich« herausgestellt worden sei, als erster Schritt für die angestrebte »Überwindung der Landkarten der Ordnung«.
Marielouise Janssen-Jurreit, Autorin des Buches Sexismus — Über die Abtreibung der Frauenfrage, konnte hingegen weder mit solch einer abstrakten noch mit irgendeiner Utopie etwas anfangen: »Ich bin Anti-Utopistin und Skeptizistin. Feministische Utopien sind Opium für die intellektuellen Frauen und waren auch nur Ableger der sozialistischen Ideen.« Sie erinnerte daran, wie menschenfeindlich heute der in den 60er Jahren geschriebene utopische Entwurf von Shulamit Firestone wirkt, in der das Kinderkriegen Maschinen überlassen wird, oder der von Juliette Mitchell, in der Abschaffung der Familie und des Inzesttabus gefordert wird. Auch die »lesbischen Utopien einer separatischen Kultur bis hin zum eigenen Frauenfriedhof« böten keinerlei ernsthafte Perspektive. Wenn diese Frauen an die Macht gekommen wären, dann hätte auch der Feminismus sein »totalitäres Syndrom« gehabt. Anders herum könne aber auch Veronika Bennholdt-Thomsens »Politik der Immanenz« »weder die Frauen der Industriegesellschaft noch die der Dritten Welt« erfreuen: »Ich will nicht die Entwicklung der Technik aufheben und an den Waschtrog zurück.« Wichtig bleibe der Feminismus jedoch für das nirgendwo in der Welt verwirklichte Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, nur fange dahinter »nicht das Paradies an«.
Also doch keine feministischen Utopien? Moderatorin Käthe Kruse beschloß den Abend mit einem abgewandelten Wort von Margarethe Mitscherlich: »Erwachsensein bedeutet den Abschied von totalitären Utopien. Insofern wird der Feminismus jetzt vielleicht erwachsen.« Ute Scheub
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