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■ Pohl, der Schauspieler, stellte Pohl, den Autor, mit einem neuen Stück vor
Die Dramen des vierzigjährigen Dramatikers, Schauspielers und Regisseurs Klaus Pohl sind als Auftragsarbeiten zum Geist der Zeit zwar zeitgemäß, erfordern gleichwohl Eingriffe, die aus dem Schlagzeileneintopf einen Theaterabend machen. So wird die Bearbeitung des simpel Gestrickten möglicherweise zum Triumph des Theaters über das Stück. Oder: Zum Triumph des Puppentheaters über das Theater. Die schöne Fremde ist unter der Regie von Dimiter Gotscheff zum Eröffnungsabend des „Klaus Pohl Wochenendes“ im Düsseldorfer „Kleinen Haus“ noch einmal eine hinreißend grelle Posse, in der alleine die schöne Fremde Marianne Hoika in Bebra ein Mensch unter Monstern sein darf.
Nach langem Schlußapplaus geht der Spuk weiter. Vor dem roten Puppenbühnenvorhang sitzt kein vergrübelter Dramatiker und auch keine Scharfrichter Hochhuthschen Zuschnitts, sondern eine Puppe. Klaus Pohl kommt, nein, stakst in Jeans und Sakko auf die Bühne, fläzt sich an den Holztisch, mault über die langweilige erste Halbzeit des Länderspiels im Fernsehen und wirft fortan alles mögliche durcheinander. Sein neues, bislang unveröffentlichtes und noch bearbeitungsbedürftiges Stück heißt Selbstmord in Madrid. Darin bereitet sich der Versicherungsvertreter Franz Wassermann zu Sylvester auf den Selbstmord in einem Madrider Pensionszimmer vor: Ein einstündiger Monolog über ein verpfuschtes Leben und den verspießerten Vorgesetzten Schröder, für den das Fahren im Dienstwagen „zuerst eine Rechtsdemonstration, dann eine Fortbewegungsart war“. Dabei verläßt Pohl das Konstrukt eines Theaters, das die inländischen Horrormeldungen von gestern schon heute auf die Bühne stellt. Wassermann ist ein Flüchtlingskind aus Deutschland („von Angerburg über Eisleben nach Franken“), der seine Frau, „eine frigide Bundesbahnbeamtin“, durch eine Annonce in den 'Nürnberger Nachrichten‘ kennengelernt hat.
Trivialität sagt oft mehr als das Getöse großer Worte. Doch die kleinen Worte finden bei Pohl oft nicht die Pointe, Ideenansätze versanden im Ulk und Sprach- und Handlungsmotive sind mehr als die Variation von Bekanntem: geklaut aus dem Fundus des Modernen Theaters, offensichtlich auch um zu persiflieren. Allein der Selbstmordgedanke in Madrid erinnert aufdringlich an Thomas Bernhard, dessen existentielle und komische Konsequenz Pohl nicht erreicht, weil er dauernd Faxen machen muß. „Der Suizid eines Angestellten ist naturgemäß lächerlich!“ ruft Klaus Bernhard aus der „Werkstatt seines Scheiterns“. Am Ende des Dramas krabbeln auch noch die kafkaesken Käfer im Zimmer herum.
So dünn die Geschichte, so herrlich der Vortrag. Da schmeißt Pohl spinnenartig die Arme in die Luft, wedelt mit dem Zeigefinger über dem amüsierten Publikum, läßt dann die Faust auf den Tisch sausen, daß die Kohlensäure im Glas nach oben schießt. Aus der Sicht von Pohl ist Franz Wassermann ein langer, verzweifelter Depp, mit gepreßter Hörspielräuber-Stimme, Vokale verschluckend, feixend und dann wieder wimmernd. Immerhin wurden die Düsseldorfer Zeugen einer nicht alltäglichen Konstellation: Ein schauspielernder und regieführender Dramatiker zeigt sehr expressiv die Rohfassung seines neuen Stückes und macht sich dabei (glücklicherweise) über die eigenen Regieanweisungen lustig. Unterhaltsam war das allemal. Alexander Gorkow
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