Ganz anders als die Waltons

Familienbilder: „Murphy Brown“ und „Eine schrecklich nette Familie“  ■ Von Harald Keller

Dan Quayle, George Bushs tölpelhafter Vize, hatte — die taz berichtete— unlängst nichts Besseres zu tun, als sich über die TV-Serie Murphy Brown zu echauffieren. Deren Autoren ließen die ledige und mit gut vierzig Lebensjahren nach landläufiger Meinung spätgebärende Titelfigur ein Kind bekommen, das wohl vaterlos bleiben wird. „Es hilft nichts“, so Quayles scharfsinnige Analyse US- amerikanischer Kalamitäten, „wenn Murphy Brown zur Hauptsendezeit den Vater lächerlich macht.“ Für Quayle bot die ohne männlichen Beistand vollzogene Vermehrung des Serienpersonals eine vermutlich willkommene Gelegenheit, um in Gewißheit der Zustimmung konservativer Kreise eine Retourkutsche in Gang zu setzen. Grund dafür war wohl weniger die Sorge um Murphy Browns Familienleben als vielmehr, daß in der Sendereihe mit Seitenhieben auf Präsident Bush und seinen Vize nicht gespart wird. „Ich hasse es, wenn Restaurants schlechten Service bieten“, mosert beispielsweise Browns Mutter, „es fängt an bei zu trockenem Fleisch und endet bei Vizepräsident Quayle.“

Die von Quayle inkriminierte Desavouierung ach so verletzlicher Vaterfiguren hätte mit der üblichen dramaturgischen Finte leicht vermieden werden können. Beinahe routinemäßig erleiden beruflich ambitionierte US-Serienheldinnen einfach eine Fehlgeburt. Aber Murphy Brown — kreiert, produziert und teilweise geschrieben von Diane English — ist da eben ein wenig anders als andere Sitcoms, wie auch die resolute Hauptfigur nicht immer der gewohnten Vorstellung von einer untadeligen Serienheldin entspricht.

Galligste Attacke seit „Ein Herz und eine Seele“

Noch weniger als Murphy Brown dürfte dem auf televisionäres Familienidyll erpichten Quayle-Geist die Serie Married...With Children gefallen haben. RTLplus hat endlich erkannt, welche Kostbarkeit da bislang im Mittagsprogramm zwischen den üblichen Dreigroschen-Soaps vergraben wurde, und verlegte die seit Wolfgang Menges Ein Herz und eine Seele galligste Attacke gegen die Keimzelle des Staates ins Nachtprogramm. Der deutsche Titel Eine schrecklich nette Familie ist eine ebenso hinterlistige Täuschung wie Frank Sinatras Edelschnulze Love and Marriage, die den Vorspann untermalt. Im Zentrum des Geschehens stehen die Bundys, deren sozialer Status am besten mit „unterstes Ende Mittelklasse“ umschrieben wäre. Sie leben in der Peripherie Chicagos. Vater Al Bundy ist Schuhverkäufer. Sein Gespons Peggy, eine schrille Kreuzung aus Bette Midler und Elisabeth Volkmann, hofft, daß der von der Last der Jahre und der unbezahlten Hypotheken schon leicht gebeugte Al eines Tages doch noch den Aufstieg zum Müllmann schafft. Bis dahin vertreibt sie sich die Zeit mit Fernsehen, Naschen und Einkaufen. Die beiden Eheleute verbindet eine mit rüden, hochkomischen Wortgefechten ausgetragene Haßliebe. Al Bundys Dasein ist dermaßen deprimierend, daß sogar sein Schutzengel Mitleid bekommt: „Ein guter Tag ist für dich schon, wenn dir kein neuer Fußpilz begegnet.“

Sein Gezücht bezeichnet Al gern als „die Blutsauger“, weil nur monetäre Zuwendungen pädagogische Maßnahmen ermöglichen. Die frühreife Kelly, von Al zärtlich „Dumpfbacke“ genannt, ist etwa sechzehn. Sie betrachtet die Schule als Partnerschaftsvermittlung und hat Schwierigkeiten, die Farbe einer Orange zu benennen, sofern sie nicht aus drei vorgegebenen Antworten auswählen kann. Sohn Bud entwickelt sich im Verlauf der Serie vom kindlichen Lauser zum pubertierenden Klugscheißer. Ebenso wie seine Schwester ist er aufs andere Geschlecht versessen, ihm jedoch bleiben diesbezügliche Erfolge mit schicksalhafter Zuverlässigkeit versagt. In der direkten Nachbarschaft der Bundys leben Steve und Marcy Rhoades, anfangs ein frischverheiratetes Ehepaar mit hochfliegenden Plänen. Unter dem negativen Einfluß der Bundys verlieren die beiden Bankangestellten nicht nur ihre Illusionen: Steve fliegt aus seinem gutdotierten Job, steigt ab zum Käfigreiniger einer Tierhandlung und macht sich schließlich ganz aus dem Staub.

In den USA empörte sich zwar nicht Vizepräsident Quayle, aber doch immerhin CBS-Chef Howard Stringer und befand, Married... With Children sei ein bislang nicht erreichter Tiefpunkt der TV-Unterhaltung. Für jemanden, der auf eine keimfreie Bildschirmidylle und seifenopernhafte Gefälligkeit Wert legt, mag dieses Urteil stimmen. Die Bundys pflegen nicht den nachsichtig-liebevollen Umgangston konfliktfreier Fernsehfamilien. Hier wird das in betulichen Stammbaum- Epen gern präsentierte, aber porentief verlogene Phantombild harmonischer Familienverhältnisse mit den Mitteln der satirischen Überzeichnung der Wirklichkeit und Fortpflanzungsimperativ mit frohgemutem Zynismus schonungslos auf die Schippe genommen. Ein Vergnügen für das Publikum, das an den mit Erfindungsreichtum und deftigen Anzüglichkeiten ausgetragenen Wortgefechten der schwarzen Schäfchen seine Freude haben kann.

In der Serienunterhaltung waren nihilistische Verhaltensweisen lange Zeit grotesken Comic-Figuren wie der Addams Family oder den Munsters vorbehalten, deren drollige Exzentrik die antibürgerliche Attitüde leicht verdaulich machte. Married... With Children dagegen zeigt vertraute Schauplätze, das Einfamilienhaus, das Einkaufszentrum, die High School. Mit spürbarer Freude verhöhnen die AutorInnen das nicht zuletzt vom eigenen Medium etablierte, weltfremd verkitschte Familienideal und erledigen en passant auch noch den Mythos vom „American Dream“.

RTLplus zeigt Eine schrecklich nette Familie in — nicht immer gelungener — deutscher Bearbeitung montags bis freitags gegen 1.00 Uhr. Murphy Brown ist dienstags gegen 23.00 Uhr im Kabelkanal.