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Hallodri Jelzin ist jetzt Bushs Freund

Die beiden treffen sich heute in Washington zum ersten offiziellen amerikanisch-russischen Gipfel: Enge Freunde, die sich über atomare Abrüstung noch nicht einigen können/ Jelzin fürchtet Rolle als Bittsteller  ■ Aus Washington M. Sprengel

„Jelzins unheimlich dufter Tag. Boris – versoffene Bärenumarmung für die Kapitalisten“. So lautete im September 1989 die Überschrift eines Artikels in der 'Washington Post‘, dessen Autor sich mit der typischen Arroganz des zivilisierten Menschen über den vermeintlich Wilden lustig machte. „Er sah einen Geldautomaten in New York und blickte ihn an, als sei er ein außerirdisches Wesen“, schrieb die 'Post‘ über Boris Jelzin, der damals zum ersten Mal durch die USA reiste und den Überfluß im Zentrum des Kapitalismus mit sichtlichem Vergnügen genoß. An seinem Auftreten ließen sich alle Vorurteile bestätigen, die der Westen über den klassischen Russen hat. Die US- Presse wurde nicht müde, ihn als einen grobschlächtigen Bauern zu zeichnen und über seine angeblichen Saufgelage zu berichten.

Das Weiße Haus ließ Jelzin damals nur widerwillig und dann auch nur zu einer besonders kurzen Audienz — 15 Minuten — vor. Man wollte dem Intimfeind Gorbatschows nicht zuviel Aufmerksamkeit zukommen lassen, mußte aber doch die zunehmende Bedeutung des in der Heimat so populären Oppositionellen anerkennen. George Bushs Kommentar über den Gast im Anschluß an dessen Stippvisite — „ein lustiger Kerl“ — ließ eher an einen Klassenclown als an einen Politiker denken. Das ist jetzt alles fast drei Jahre her. Die UdSSR gibt es nicht mehr. Michail Gorbatschow, dem noch kürzlich auf einer Privattour durch die USA wieder alle Herzen zuflogen, hat sich selbst überflüssig gemacht. Und Boris Jelzin ist als erster demokratisch gewählter Präsident der größten Ex-Sowjetrepublik in die Rolle des Nachlaßverwalters des kommunistischen Imperiums geschlüpft. Zwar hängt ihm in den USA immer noch der Ruf eines „grobschlächtigen“ Zeitgenossen nach, mittlerweile wird er allerdings in die Reihe der professionellen Politiker gestellt und mit Charakteren wie dem Texaner Lyndon B. Johnson, der nach Kennedys Ermordung 1963 ins Weiße Haus einzog, und dem der Pfalz eng verbundenen Helmut Kohl verglichen.

Mit George Bush, den er heute zum Auftakt des ersten russisch- amerikanischen Gipfels in Washington treffen wird, ist Jelzin mittlerweile auf du und du. Der Wendepunkt in der Beziehung der beiden ungleichen Männer dürfte im August 1991 gelegen haben. Während Putschisten Gorbatschow auf der Krim festhielten und alle Welt — sogar Washington — zumindest kurzfristig im Glauben ließen, der sowjetische Staatschef sei krank, setzte Jelzin in Moskau alles daran, das Komplott scheitern zu lassen. Erst seine Beharrlichkeit und Überzeugungskraft ließ den amerikanischen Präsidenten deutliche Worte zur Verurteilung des Putsches finden. Jelzin, der Hallodri, entpuppte sich als überzeugter Verfechter demokratischer Reformen.

Im vergangenen Februar wurde dann die neue Qualität der Jelzin- Bush-Beziehung besiegelt. Der Russe wurde nach Camp David, ins Wochenenddomizil der amerikanischen Präsidenten, eingeladen. Zu seinem 61. Geburtstag gab es dort als Andenken sogar ein Paar texanische Cowboy-Boots. George sprach vom „Anbruch einer neuen Ära“; Boris hob hervor, daß man sich von nun an nicht mehr als potentielle Feinde betrachten werde.

Jetzt geht es darum, die großen Worte mit Inhalt zu füllen. Eigentlich sollten ein internationales Hilfsprogramm sowie ein Vertrag zur weiteren Abrüstung der atomaren Waffenarsenale unterschriftsreif vorliegen. Beide Dokumente sind aber weit von einer Präsentation im Rahmen einer feierlichen Zeremonie entfernt. Der amerikanische Beitrag zu den 24 Milliarden Dollar, die die sieben führenden Industrienationen Jelzin im April versprochen haben, ist vom Kongreß immer noch nicht genehmigt. Aus Angst, sich im Wahljahr 1992 den Unmut der Wähler zuzuziehen, halten sich Demokraten wie Republikaner bei Debatten um Auslandshilfe lieber zurück, und auch George Bush hat seinen anfänglich zur Schau getragenen Enthusiasmus verloren.

Bleibt der anvisierte Abrüstungsvertrag und damit der Beleg, daß Russen und Amerikaner sich heute tatsächlich nicht mehr als „potentielle Feinde“ betrachten. In Camp David bereits hatte Jelzin vorgeschlagen, die Zahl der atomaren Sprengköpfe auf beiden Seiten von den im START-Vertrag im letzten Jahr vereinbarten 8.500 auf 2.500 zu reduzieren. So weit wollen die USA allerdings nicht gehen. Dies erfordere eine zu radikale Veränderung in der Zusammensetzung ihres nuklearen Arsenals, argumentieren sie und wollen deshalb beiden Seiten 4.700 Sprengköpfe zugestehen. Bei den Gesprächen der Außenminister Baker und Kosyrew blieb der Hauptstreitpunkt, welche Raketen verschrottet werden sollen, ungeklärt.

Die Amerikaner, die ihre Sprengköpfe auf U-Booten behalten wollen, verlangen von den Russen die völlige Abrüstung ihrer landgestützten Raketen. Für Jelzin ist dies unakzeptabel, da er damit das Rückgrat der nuklearen Abschreckung seines Landes aufgeben würde. Bitter bemerkte er kürzlich, Washington versuche seine Notlage schamlos auszunutzen; schließlich ist er ja als Bittsteller in die USA gekommen. Die Amerikaner trauen dem Frieden halt doch nicht so richtig. Wer weiß denn schon, scheinen die Chefstrategen zu mahnen, wie lange sich Jelzin an der Macht halten kann und ob er nicht doch irgendwann von einem Despoten ersetzt wird, der dann die übriggebliebenen Raketen wieder auf die USA richtet?

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