: Ein Milliardär will das Weiße Haus kaufen
Keiner weiß genau, was Ross Perot täte, wenn er US-Präsident würde: Sein politisches Programm ist substanzlos bis skurril Hinter einem scheinbar erfrischenden Pragmatismus und Populismus steckt die Devise: Alles ist machbar, weil käuflich ■ Aus Washington Andrea Böhm
Es ist ein Puzzlespiel, aber der Mann weigert sich einfach, die Einzelteile herauszugeben. Ross Perot, Computer-Milliardär aus Texas, wäre Präsident der USA, wenn heute Wahlen wären und die Leute immer genau das tun würden, was sie drei Monate vorher den Umfrageinstituten erzählt haben. Was der Mann dann im Weißen Haus tatsächlich machen würde, weiß en detail keiner zu sagen: „He is going to fix the country“ — er wird das Land in Ordnung bringen, lautet die Standardantwort.
Was läßt sich über H. Ross Perot sagen — außer daß er nicht Bill Clinton oder George Bush ist, womit sich bislang noch ein großer Teil seiner Anhänger zufriedengibt?
Der Mann ist 61 Jahre alt, verheiratet, hat fünf Kinder und verfügt nach vorsichtigen Schätzungen über zwischen 2,5 und 3,5 Milliarden Dollar. Stimmt.
Der Mann hat eine Aversion gegen Bärte, George Bush und eine Vorliebe für Verschwörungstheorien. Stimmt auch.
Der Mann hatte mit Politik bislang nichts am Hut, will aber im Land der unbegrenzten Möglichkeiten Präsident werden, „um den Miststall endlich aufzuräumen“ (O-Ton Perot). Stimmt nicht ganz.
Gewiefter Lobbyist
„Amerikas erster Wohlfahrtsmilliardär“ — so taufte 1971 die kalifornische Zeitung 'Ramparts‘ den Texaner: Perot hatte innerhalb weniger Jahre mit der Entwicklung von Software für die staatliche Krankenversicherung für Arme und Alte (Medicaid und Medicare) den Grundstein für sein Vermögen und das seiner Firma „Electronic Data Systems“ (EDS) gelegt. Die EDS wurde streng patriarchalisch geführt. Unbedingte Loyalität war vorgeschrieben, das Tragen von Bärten für Männer verboten.
Ross Perot war groß im Ausbooten möglicher Konkurrenten. Dabei verließ er sich in der Regel nicht auf das freie Spiel der Kräfte auf dem Markt, sondern auf gute Kontakte in die Amtszimmer von Senatoren, Präsidenten und Gouverneuren. Als 1980 eine andere Firma der EDS den Vertrag mit der „Texas Medic Aid“ wegschnappte, weil sie billiger war, intervenierte Perot beim Gouverneur und bekam den Kontrakt zurück. Ähnliche Lobbyarbeit, dieses Mal in Washington, sicherte dem Perot-Klan den Bau eines Frachtflughafens auf Staatskosten, was wiederum die Grundstückspreise des umliegenden Landes im Besitz der Perots nach oben schießen ließ.
Daß sich nicht nur mit Hilfe von Politikern Geld, sondern auch mit Geld Politik machen läßt, ist seit über zwanzig Jahren die Maxime Perots: Im Oktober 1969 finanzierte Perot eine Werbekampagne für die Vietnam-Politik Richard Nixons. 1972 erhielt Perot nach Intervention durch Nixons Gesundheitsminister Elliot Richardson Software-Verträge für Medicare in Ohio und West-Virginia. Kurz darauf überwiesen zwei leitende Mitarbeiter von EDS rund 200.000 Dollar für die Kampagne zur Wiederwahl Nixons — als der den Wahlsieg bereits in der Tasche hatte. 1988 kam Perot der Polizei von Dallas mit mindestens 100.000 Dollar zu Hilfe, als die wegen brutaler Übergriffe ins Gerede gekommen war und per Referendum eine lästige zivile Kontrollkommission loswerden wollte. Als Thomas W. Luce, lange Jahre enger Mitarbeiter von EDS, 1990 für die Republikaner Gouverneur von Texas werden wollte, lieh ihm Perot eine Million Dollar. Luce verlor, mußte das Geld nicht zurückzahlen — und ist ein Wahlkampfmanager Perots.
100 Millionen, wenn es sein muß auch 200 Millionen Dollar will der Texaner in den Wahlkampf stecken. Es ist letztlich diese „Alles ist machbar, weil käuflich“-Mentalität, die hinter Perots scheinbar so erfrischendem Pragmatismus steckt. Der ist Perots stärkstes Pfund im Wahlkampf und verdeckt noch, daß seine politischen Programmpunkte zwar skurril, aber meistens substanzlos sind. Wird er nach seinen Ideen zur Reduzierung des Haushaltsdefizits gefragt, präsentiert er ein Vier- Punkte-Stammtisch-Programm: Japan und Deutschland sollen jährlich 100 Milliarden für die Stationierung von US-Truppen bezahlen; der Steuerbehörde will er ein neues Computersystem verschaffen, damit sie mehr und schneller Geld eintreiben kann; wohlhabende Senioren sollen keinen Anspruch auf Sozialhilfe und Medicare haben, wobei er „wohlhabend“ nicht näher definiert; und der Staat soll nicht soviel Geld verschwenden, weshalb Perot, falls gewählt, den Präsidentenflieger „Air Force One“ durch einen kleinen Jet ersetzen und auf sein Gehalt verzichten würde. Das Steuersystem des Bundes will Perot ganz abschaffen und „neu schreiben“, wie, hat er bislang nicht verraten. Dafür fordert er explizit, dem US-Kongreß das Recht abzunehmen, Steuern zu erhöhen. Darüber sollte statt dessen das Volk entscheiden — per Referendum. Daß er als Präsident mit dem Kongreß „tanzen würde wie Ginger Rogers mit Fred Astaire“ (O-Ton Perot), scheint bei solchen Plänen erst einmal ausgeschlossen.
Ross Perot ist ein Patriot, der so patriotisch ist, daß er George Bush für einen schlechten Patrioten hält. Was in diesem Fall gleichbedeutend ist mit Schwächling. Der Schlagabtausch zwischen den beiden Texanern ist in den letzten Tagen härter geworden und hat ein ganz entscheidendes Kriterium dieses Wahlkampfes offengelegt: seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen. Geschickt nutzt Perot dabei die wachsende öffentliche Kritik an Bushs Irak-Politik und dem Golfkrieg, mit dem der Präsident sein Image als „whimp“, als Schwächling, loszuwerden hoffte. „Ich muß niemanden in den Krieg schicken, um meine Männlichkeit zu beweisen.“ Mit diesen Worten, gezielt auf Bushs Hälfte unterhalb der Gürtellinie, begründete Perot seine Opposition gegen den Golfkrieg. Und als kürzlich Marilyn Quayle, Gattin des Vizepräsidenten, Perot vorwarf, sich ins Weiße Haus einkaufen zu wollen, nahm der den Gatten aufs Korn: „Ich finde das faszinierend, daß sich erwachsene Männer hinter ihren Frauen verstecken. Wenn sie mit mir in den Ring steigen wollen, dann sollen sie doch hervorkommen.“
Mannhafter Patriot
Womit Perot im Fall Irak seine Männlichkeit bewiesen hätte? Er hätte Saddam mit einem Killerkommando erledigt. Auch das klingt in den Ohren seiner Anhänger, von denen nicht wenige während des Krieges begeistert die Fahne geschwungen haben, bestechend effektiv. Perot übersieht, daß das Exekutieren ausländischer Staatschefs nach US- Recht strafbar ist.
Eine Tendenz, gesetzliche Schranken zu ignorieren, haben ihm auch Bürgerrechtsgruppen attestiert: Als Vorsitzender des „Texas War on Drugs Committee“ zeichnete Perot verantwortlich für eine drastische Verschärfung der Drogengesetze, die im Endeffekt zu einer katastrophalen Überfüllung des texanischen Strafvollzugs zur Folge hatte. 1988 schlug er in einem Treffen mit leitenden Polizeibeamten in Dallas vor, schwarze und hispanische Wohnviertel durch die Polizei abriegeln und systematisch nach Waffen und Drogen durchsuchen zu lassen. Ein Jahr später erklärte er in einer Fernsehsendung, man müsse einfach einen Bürgerkrieg ausrufen. „Der Feind ist der Drogendealer. Der kommt ins Kriegsgefangenenlager. Man kann dieses Problem mit militärischen Kategorien lösen.“
Komplett ist das Puzzle Perot damit noch lange nicht. Ein paar Einzelteile kann Molly Ivins beisteuern, texanische Journalistin und Autorin zahlreicher Kolumnen, deren Lektüre zum Verständnis von Texas und seinen Bewohnern unerläßlich ist. In Texas gebe es schlechte und bessere „bekloppte reaktionäre Milliardäre — Ross Perot gehört zu den besseren“. Im übrigen kauft sie ihm seine John-Wayne-Rhetorik nicht ab: „Ich finde, er klingt eher wie ein kläffender Chihuahua.“
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