: KUNST AM REGIERUNGSSITZ VONULFERDMANNZIEGLER
Die Bundesprunkhalle ist fertig, der helle Klotz an der B9 in Bonn. Als hätte man dem Kind gedroht, sein Spielzeug wegzunehmen, wurde schneller gebaut als vorgesehen, das 128-Millionen-Budget geringfügig unterschritten. Gustav Peichl, der Wiener Architekt, strahlt fledermäusig. 1986 hat er die erste Skizze gefertigt, zwischendrin mal einen Papstbesuch dekoriert, die Treppe zum polnischen Väterchen gerahmt von goldenen Kugeln, profaner Ausdruck heiliger Ratlosigkeit.
Helmut Kohls Prachtstück hat von Peichl etwas Königliches mitbekommen, durch die spitzen Kappen, die auf dem Dach stehen, das ein Dachgarten ist. In den beiden Etagen darunter eröffnen mit dem Haus fünf Ausstellungen, eine Retrospektive Niki de Saint Phalle und Territorium Artis, für die der sogenannte Intendant des Hauses, Pontus Hulten — ein alter Schwede von Schrot und Korn — sich 150 Meisterwerke der Kunstgeschichte dieses Jahrhunderts zusammengeliehen hat; Picassos (Fahrradsattel-) Stierkopf, zwei winzige Giacometti-Figuren, einen Monet, die Warhol-Brillo-Kartons... Für Laien ein nettes Sammelsurium, für Museumsroutiniers nicht ohne Überraschungen, weil man manche Werke aus Privatsammlungen nur von Abbildungen kennt. Weit stärker nivellierend, geradezu stumm die begleitende Ausstellung Pantheon der Photographie im XX. Jahrhundert: jeweils vier Fotos von Munkasci, Frank, Renger-Patzsch, Arbus etc., etwas fürs Poesiealbum, mehr nicht. Schön für private Leihgeber: jedes Bild ist im Katalog. Das mehrt den Mehrwert.
Peichls Bau, von außen italienische Fabrik, von innen Labyrinth, hat unterhalb der drei Kappen ein winziges Atrium, aber nicht einen wichtigen Platz kollektiver Spannung oder Ruhe; was man vom Besucher will, versteht er, wenn die von außen klinkenlose Ausgangstür sich hinter ihm klickend schließt. „Die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland“ (der Name schon ein mißverständlicher Kompromiß: auch die Kunst wird dort nicht gesammelt, sondern nur ausgestellt) hat genau diese Mischung von verquaster Freundlichkeit und nur halb gewagter Coolness, repräsentiert exakt unexakt die mit sich ringende Moderne, die grund- und gedankenlos teilwiderrufene Postmoderne.
Es ist dieses technoide, gleichgültige, italianisierende Was-kostet-die-Welt, das inzwischen in allen besseren Restaurants in den meist weniger interessanten Städten Einzug gehalten hat: das, was die BRD, die sich nicht vergessen kann und dennoch den Blick in den Spiegel nicht wagt, verdient hat. Etwas für zurückgebliebene Ministerkinder an verregneten Novembersonntagen.
Natürlich hat das Kritische seinen Platz, zwar nur in einer schmalen Galerie am Rande, aber richtig zum Erschrecken und nachdenklich werden à la Esprit: „Erdsicht. Global Change“, ein Umwelt-, Atom-, Flüchtlings-, Erdkunde-, Weltraum-New-Age-Spektakel, in dessen letztem Raum der geistreiche Satz vom Band kommt: „Die Planetenforschung hält uns vor Augen, wie fragil die Erde ist.“ In einer fünften Ausstellung, die extrem schwer zu finden ist, wird Peichl selbst geehrt; während sich ein Hochhausmodell um seine eigene Achse dreht, stöhnen Birkin/Gainborough aus einem Lautsprecher ihr „Je t'aime“ und eine weibliche Stimme haucht darüber: „Ich bin ein Hochhaus, sieh mich an.“ Da wird der Kanzler aber Augen machen.
Während in Ostdeutschland konservatorische Mindestbedingungen selbst in Depots nicht aufrecht erhalten werden können, die Berliner, einst konservativ umworben, ihr Deutsches Historisches Museum in der Planungsmüdigkeit untergehen sehen, leistet man sich in Bonn eine „Museumsmeile“. Das „Haus der Geschichte“ wird noch gebaut, das neue Kunstmuseum des Architekten Axel Schultes ist parallel zur Bundeskunsthalle (wie man jetzt so sagt) eingeweiht worden. Der Bau wirkt nicht so hermetisch wie sein Nachbar, weil er mit freischwebenden Dächern nach den Besuchern greift. Die Innengestaltung des ebenfalls riesigen Baus hat eine allerdings nicht unähnliche Art, verlegen selbstverliebt auf sich zurückzuweisen und gleichzeitig die Schätze des Museums in einem Akt verstellter Neutralität einzusargen. Die Architektur triumphiert, wie Lissitzky und Tatlin es einst gehofft hatten. Die Kunst, die sich Macke, Polke oder Baselitz einst abgerungen hatten, tut wirklich nicht mehr weh.
Die Architektur schon, wenn einer Pech hat. Der Journalist, eiligen Schritts auf der Suche nach einem Telefon, knallte in die Panzerglaswand, die den Kellertrakt des Kunstmuseums von einem Binnenhof trennt. Woran man sieht, das die Dinge, auf die es ankommt, ohnehin unsichtbar sind
DIEBUNDESKUNSTHALLEINBONN:DAWIRDDERKANZLERABERAUGENMACHEN
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