: Heimat wächst schleichend
■ Ein Ausflug zur „Grünen Gilde Gerken“ / Was Gerkens aus der Feldstraße jetzt auf dem Lande machen
Es ist schon schön, wie man so hinausfährt, mit der Bahn. Am Fenster vorbei ziehen dörfliche Stadtrandlagen, sandgelb und blau melierte Felder. Schließlich taucht man durch die sonnendurchflutete, grüne Hölle eines Waldstreifens und nähert sich dem Bahnhof Etelsen, einem außer Dienst gestellten, geschichtsgeladenen Backsteingebäude, dessen Abriß die Bundesbahn betreibt. Ein Ort so nett, daß man kaum wagt, die staubige Schotterstraße mit den eigenen, ordinären Füßen zu treten.
Einige Kilometer weiter, auf der Insel hinter dem Kanal, dort, wo sich am Horizont die Dächer des Ortes Hagen-Grinden abzeichnen, wird das Idyll noch klarer. Auf einem weitläufigen Areal, zwischen frisch gestutzten Wiesen, weidenden Pferden und dem Schießstand des ansässigen Schützenvereins tobt eine kreischende Kinderschar. Nach vorne, zur Straße hin, streckt sich ein ausgedehnter Häuserkomplex mit Wohnhaus, ausgebauter Scheune, mit einer alten Kneipe und einem großen Saal.
Gekauft und für ihre Zwecke umgebaut haben das Anwesen vor zwei Jahren Doris und Rolf Gerken, in Bremen bekannt als BetreiberInnen einer Kneipe, die sich durch ihre rustikale Stilechtheit und ihr Veranstaltungsprogramm vom gastronomischen Einerlei abhob. Auch auf dem Land hatten die beiden große Pläne, was zum einen den Umbau der Häuser und zum anderen das Konzept der Gastronomie betraf. Als Ausflugslokal für die Bremer, für Radwanderer und andere mobile Menschen wollten sie ihre neue Kneipe etablieren. Außerdem wollten sie auch hier ein Veranstaltungsprogramm inszenieren, das sowohl für die Bewohner des Umlands als auch für die verwöhnten Bremer attraktiv ist. Bisher sind die Pläne nicht so recht aufgegangen.
Anstoß für die Übersiedelung war für die beiden Kneipiers die Gefährdung ihrer Kinder in der Stadt. Damit sind Gerkens hier in bester Gesellschaft. Trotzdem war es für sie unerwartet schwer, in der neuen Umgebung Fuß zu fassen. Sie gründeten einen „Verein zur Förderung kultureller Aktivitäten in Hagen-Grinden“ (speziell in ihrem Lokal), und Rolf Gerken ließ sich in die Kreis- und Bezirksversammlung wählen, doch mit ihrem städtischen Tempo und den ungewohnten institutionellen und konzeptionellen Ideen stießen sie die Alteingesessenen ab. Zu stark sind die Beharrungskräfte, zu stark ist das Mißtrauen der Ortsansässigen.
Bisher jedenfalls sind die Gerkens Fremde geblieben, die nur langsam in die Rituale der dörflichen Gemeinschaft eingeführt werden. Heimat wächst schleichend. Langsamer jedenfalls als die eigene Vertrautheit mit einer Landschaft, mit ihren Eigenheiten, mit den Dimensionen, die sich dem Blick bieten und der Dynamik des Wolkenspiels.
In letzter Zeit, nach zwei Jahren, scheint sich das zu bessern. Es gibt nun die ein oder andere Einladung zum Kränzchen, zur Konfirmation oder zum Geburtstagsschenken, der Schützenverein zielt wieder mit der gewohnten Treffsicherheit, und die ersten Familien überwinden ihre Schwellenängste und buchen den großen Veranstaltungssaal für ihre Familienfeiern.
Die Veranstaltungsreihe „Heimat & Fremde“, die die Grüne Gilde der Gerkens dereit präsentiert, ist nur indirekt ein Versuch, sich mit der eigenen Fremdheit in der neuen Umgebung auseinanderzusetzen. Vordergründig widmet sich das Programm den Problemen, die die größeren Wanderungsbewegungen unserer Zeit mit sich bringen. Verarbeitungen folkloristischer Klänge bilden den einen Schwerpunkt. Die Musik soll die Ausdrucksmittel der einen Kultur den Hörern aus einer anderen verdaulich machen. Es bleibt jedoch nicht bei der exotischen Folklore, nicht bei afrikanischer Trommel- und Highlife- Musik und karibischer Salsa, auch nicht beim leichten Groove der deutsch-türkischen Rockband „Iki Dünya“ — auch der verschütteten deutschen Folklore soll hinterhergehorcht werden.
Für Rolf und Doris Gerken ist das ein Versuch. Mit den verschiedenen Veranstaltungen wollen sie ausloten, was in Hagen- Grinden möglich ist. Es war für sie beispielsweise eine überaus positive Überraschung, daß der Trommel-Workshop und das daran anschließende Konzert mit einer extrem dunkelhäutigen, ghanesischen Gruppe keinerlei Probleme aufwarf. Oder die Lesung mit dem türkisch-bremischen Autor Osman Engin, die in eine politische Debatte umschlug. So etwas nährt das Gefühl, daß auch hier Zusammenhänge entstehen, die das Gefühl, hier zu Hause sein zu können, ein weiteres Stück verstärken. step
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