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Von der Last, ein Wagner zu sein

■ Gottfried Wagner arbeitet im Alleingang die Geschichte seiner Familie auf

Ibsen hätte die Szene nicht schöner schreiben können: Warum denn nun auch Ralph Giordano durch die lyrische Beschreibung des markanten Komponistenschädels jenen Wagner-Dunst verbreitet habe, den es doch eigentlich zu vertreiben gelte, fragte ein durchaus wohlmeinender jugendlicher Zuhörer im Hörsaal14 der Wuppertaler Universität. Giordano brauchte gar nicht selbst zu antworten. Für ihn sprang Gottfried Wagner ein: Niemandem, und schon gar nicht dem Freund Ralph Giordano, gehe es darum, irgendeinen Dunst zu verbreiten, herrschte er den völlig erschrockenen Fragesteller an. Man sei angetreten, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu suchen. Wer etwas anderes behaupte, könne in den vergangenen Stunden nicht zugehört haben.

Der unvermutete Gefühlsausbruch am Ende der fast dreistündigen Veranstaltung, zu der die in Wuppertal ansässige Else-Lasker-Schüler- Gesellschaft eingeladen hatte, offenbart einen Teil der Tragik des Gottfried Wagner. Schon seit einigen Jahren hat sich der Komponisten- Urenkel die nie stattgefundene kritische Aufarbeitung der Wagnerschen Familiengeschichte zur Lebensaufgabe gemacht. „Heillose Ehrlichkeit und alles bestimmende Aufrichtigkeit“ hatte ihm in seiner beinahe hymnischen Einleitung zum Wuppertaler Vortrag dafür der Freund Ralph Giordano bescheinigt. Aber der Einzelkampf gegen das scheinbar übermächtige Wagner-Establishment scheint auch in Wagners Seele Spuren hinterlassen zu haben. Hinter vielen der Anmerkungen, die seinem Vortrag aus dem Publikum folgen, vermutet er eine gegen ihn gerichtete Unterstellung. Seine Entgegnungen klingen deshalb nicht selten so, als bezögen sie sich gar nicht auf die gestellten Fragen. Ähnlich wie der Kirchenkritiker Eugen Drewermann, und vielleicht in ähnlicher Situation, im Kampf gegen eine gewaltige Institution, hat Gottfried Wagner defensive Antworten, und die will er in jedem Fall loswerden.

Dabei könnten die Ergebnisse seiner Arbeit, die Wagner in Vortragsveranstaltungen, Interviews und demnächst auch in einem Buch einem breiten Publikum zu vermitteln versucht, auch ohne diese dauernde Selbstversicherung für sich sprechen. Im Januar 1990 war Wagner auf Einladung des musikwissenschaftlichen Instituts der Universität von Tel Aviv in Israel zu Gast, um den unterbrochenen Dialog über Richard Wagner zwischen Deutschen und Juden nach den Lebenslügen ganzer Wagner-Generationen in Deutschland mit Geduld wieder aufzunehmen. Die Hörsäle seien überfüllt gewesen, erzählt Wagner in Wuppertal nicht ohne Stolz, und es habe keine Protestaktionen gegeben. Im März 1990 spielte der israelische Rundfunk zum ersten Mal wieder Wagner-Musik. Sie war in Israel seit 1938 zwar nicht verboten, dafür aber mit Bann belegt gewesen und gehörte nicht zum offiziellen Orchesterrepertoire.

Seine eigene Familie erklärte den Nestbeschmutzer für seine Suche nach einem revidierten Wagner- Bild, das nichts von seiner Intention und Rezeption beschönigt und das in Bayreuth aufrechterhaltene Glorienbild ersetzen soll, zur persona non grata. Der lange Arm der allmächtigen Bayreuth-Connection reicht weit: Der Bayerische Rundfunk setzte eine Sendung mit Gottfried Wagner ebenso ab wie ein US-Sender, der dafür das Honorar verfünffachen wollte. „Gefährlich“ nannte der Münchener Generalintendant August Everding Wagners Spurensuche, der in Bayreuth hofierte Stardirigent Daniel Barenboim weigerte sich als einer der führenden Großverdiener auf dem von Bayreuth aus gesteuerten Wagner-Markt gar, mit dem promovierten Musikhistoriker Gottfried Wagner auch nur zu diskutieren. Sein Vater Wolfgang Wagner legte den internationalen Richard- Wagner-Gesellschaften mit entsprechendem Nachdruck nahe, den mißratenen Sohn weder einzuladen noch ernstzunehmen. Auf dem Festspielhügel hat er Hausverbot.

Dabei sind Wagners Thesen inhaltlich gar nicht so explosiv, daß sie auch nur im Ansatz die gegen ihn ergriffenen Maßnahmen rechtfertigen könnten. „Ich bin nicht der Meinung, daß Richard Wagner für die Shoah verantwortlich zu machen ist“, nimmt er seinen Urgroßvater gegen all jene Kritiker in Schutz, die in ihm nach der Vereinnahmung durch die Nazis den geistigen Vater von Auschwitz sehen. Sein Werk selbst enthalte auch keinerlei nachweisbare antisemitische Tendenzen. „Die Frage nach seinem Beitrag zur Förderung des Antisemitismus in Deutschland ist trotzdem eindeutig mit Ja zu beantworten, denn Mensch und Werk lassen sich nicht trennen.“ 1850 schrieb der auch auf die finanziellen Erfolge seiner jüdischen Kollegen neidische Komponist das Pamphlet Über das Judentum in der Musik. In ihm empfiehlt Wagner den Juden in Deutschland die Konvertierung zum Christentum oder den Untergang als einzig mögliche Alternativen. Später relativierte er seinen Antisemitismus.

Wagner und die Juden lautete auch der Titel einer Ausstellung, mit der sich 1985 in der Villa Wahnfried das offizielle Bayreuth des Themas annahm. Gottfried Wagner nannte sie eine „absichtsvolle Verdrängung“: „Sie erwähnte mit keinem Wort den umfangreichen Briefwechsel zwischen Winifred Wagner und dem von ihr ,Wolf‘ genannten Adolf Hitler, zu dem sie sich noch kurz vor ihrem Tod 1980 bekannte. Und sie zeigte keinen der Filme, die bei Hitlers zahlreichen Privatbesuchen in Bayreuth gedreht worden sind. Eine internationale und von der Industrie unabhängige Forschungskommission sollte auch Wagners Rezeption nach seinem Tode untersuchen.“

Er wolle die reaktionären Tendenzen in Bayreuth bekämpfen, nennt Gottfried Wagner als eines seiner vordringlichsten Anliegen. Neben einer Strukturreform der elitären Kartenvergabepolitik sei es deshalb dringend nötig, auch wieder zeitgenössische Musik auf dem Festspielhügel aufzuführen. Erste Anstrengungen in diese Richtung hatte nach dem Krieg bereits Wieland Wagner unternommen. Als er 1966 starb, kehrte mit Wolfgang Wagner die Restauration nach Bayreuth zurück. Er sei der David, der gegen Goliath kämpft, definiert sich Gottfried Wagner gern selbstbewußt. Treffender wäre der Vergleich mit Brutus. Ihn allerdings scheint der Sohn selbst noch nicht verarbeitet zu haben. Stefan Koldehoff

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