PRESS-SCHLAG: „Schlicht zum Kotzen“
■ Das Fußballgenie Willi „Ente“ Lippens leidet unter dem Euro-Gekicke: „Kappes, nichts als Kappes“
Willi Lippens ist, wie viele andere Freunde des Fußballspiels auch, tief entsetzt in diesen Tagen. „Totaler Kokolores, nichts als Geplänkel“ werde da in Schweden geboten, die Euro 92 sei schlicht „zum Kotzen“. Zwei Fußballwelten prallen aufeinander: Das verklemmte Sicherheitsgekicke der Neuzeit und ein Mann, der vor 20 Jahren die Fans von Rot- Weiß Essen und später Borussia Dortmund mit seinen Showeinlagen und seiner Unberechenbarkeit, mit Witz, Intuition und unnachahmlichen Soli entzückte. Lippens sieht heute „einen ganz anderen Fußball“ im Fernsehen: „Neun von zehn Spielen sind doch Kappes, nichts als Kappes.“ Dabei schaltet er zwischendurch oft ab: „Ich gucke manchmal nur noch in Intervallen, gehe zwischendurch raus in meinen Garten, und dann komme ich wieder, und immer noch nichts ist passiert. Das ist doch alles nur noch Verarscherei.“
Die Ente, wie er wegen seines Watschelganges genannt wurde, schimpft eine ganze Litanei von Gründen herunter: Sicher läge es am Vorrundenmodus, aber den gebe es ja, „damit die Funktionäre acht Tage länger einen schönen Urlaub machen können“. Die Trainer, schimpft er, „lügen sich in die Tasche und glauben sogar den Kram, den sie erzählen, von wegen taktische Meisterleistung, verdient nicht verloren“. Da sei zudem der Erfolgsdruck, „der alles würgt und würgt“. Die Spieler („total verdorben vom Geld“), sagt er, ließen sich viel zu sehr gängeln und einordnen. „Nehmen Sie den Möller, der beste deutsche Mittelfeldspieler, der traut sich doch nichts, der ist doch vom Trainer total verunsichert, wenn er immer hört, er müsse sich unterordnen. Mal ein Dribbling versuchen, was Spontanes, das tut doch keiner mehr. Aber nur so geht es doch.“
Der Spruch von Englands David Platt („Wenn die Zuschauer Unterhaltung wollen, sind sie hier falsch“) macht den großen Unterhaltungskünstler Willi Lippens fast sprachlos. „Ach, der Platt, ich glaube, der kann nicht anders. Sehen Sie sich den doch an. Rennen, treten, alles nur Zweckmäßigkeit“, was solle man von solchen Gestalten schon erwarten. „Intuition, spontane Einfälle, kleine Showeinlagen“ — wie soll es einer bringen, wenn es streng verboten werde. Er, Lippens, habe auch schon solche Trainer erlebt, aber da müsse man sich halt durchsetzen.
„Alle lügen sich in die Tasche“, sagt Lippens. Offensivverteidiger, wenn er das Wort schon höre — daß ein Zerstörer für Spielkunst sorgen solle, „das ist doch Etikettenschwindel“, und da sei doch klar, was herauskomme. „Oder wenn es heißt, das Spiel sei schneller geworden. Lachhaft, dieses Geschiebe, dieser Schlafwagenfußball — wenn das stimmen würde, hätten wir doch früher vergleichsweise auf dem Platz nur herumgestanden.“
Lippens, immer ein Aufsässiger, ein Querkopf (Höhepunkt — Schiedsrichter: „Ich verwarne Ihnen“, Spontanreplik Lippens: „Ich danke Sie“, Folge: Platzverweis wg. Schiedsrichterbeleidigung) — hat es zwischendurch noch einmal mit der Zweitkarriere im Fußball versucht. Der heute 46jährige war schnell gescheitert, kaum daß er im vergangenen Jahr als sportlicher Berater bei Rot-Weiß anheuerte. Mit den Essener Ehrenamtlichen sei er „gleich angeeckt“, seine Ideen als wenig zeitgemäß abgetan worden. „Die Funktionäre hierzulande“, hat das Fußballschlitzohr erkannt, „sind doch alle ungeeignet mit ihrer Profilneurose.“ So zog sich die Ente schnell wieder auf seinen Hof in Bottrop zurück und macht dort nach einer Phase mit Bioschweinen jetzt in Pferdezucht.
Vieles müsse man ändern, „sonst geht es mit dem Fußball schnell zu Ende“. Torwartrückpässe zu verbieten sei schon ein guter Anfang. Für ein Nullnull dürfe es keine Punkte mehr geben, Unentschieden gehörten generell abgeschafft, auch mit Sudden-Death- Regelung wie im Eishockey und Extrapunkte, wer drei Tore und mehr schießt. Und für die schlappen Ballmillionäre in Schweden empfiehlt Lippens statt Trainingseinheiten eine Art Foltertherapie: Die müßte man ein ganzes Wochenende einsperren und ihnen ohne Pause ein EM-Video nach dem anderen zeigen: „Vielleicht kapieren die dann, was sie da machen: Armseligkeit ohne Ende.“ Bernd Müllender
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