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Die Königin der Courts wird müde

Martina Navratilova verlor in Eastbourne in der zweiten Runde gegen eine völlig unbekannte Gegnerin — und das kurz vor Wimbledon und auf ihrem Lieblingsbelag, dem Rasen  ■ Von Arne Fohlin

Hamburg (taz) — Müde schaute sie aus, ungläubig über das eben Geschehene sieht sie über das Netz ihre Gegnerin an: Martina Navratilova, die 35 Jahe alte Lady des Tennisgeschäfts, hatte gerade in drei Sätzen gegen eine Nullnummer der Branche, die Amerikanerin Linda Harvey-Wild verloren. Nun hat die Navratilova in den letzten Jahren öfters verloren — aber nicht in der zweiten Runde und schon gar nicht auf ihrem Lieblingsbelag, dem Rasen.

Eigentlich hatte sie das Turnier im englischen Eastbourne nur als Auftakt zu einem neuerlichen Versuch, von der kommenden Woche an in Wimbledon siegreich Hof zu halten, nehmen wollen. Neunmal hat die gebürtige Tschechoslowakin bislang das wichtigste Tennisturnier der Welt gewonnen — heuer sollte es zum zehnten Mal reichen, zumal Stefanie Graf, die Titelverteidigerin, auch nicht auf der Höhe ihrer Spielkunst operiert und Monica Seles auf Gras bislang auch nicht den Beweis erbracht hat, eine Königin der Saitenschläge zu sein.

Und nun dies: Die Navratilova geschlagen! Nichts war mehr zu spüren von der alten Souveränität, ängstlich versagte sie bei ihren Volleys, anfängerinnenhaft mißrieten ihr simpelste Grundlinienschläge. Bereits im vergangenen Jahr deutete sich an, daß ihr neben dem letzten Biß auch die Kraft fehlt, gegen die Jungen vom Schlage einer Sabatini oder einer Graf mitzuhalten. Krafttennis, gepaart mit einer exzellenten Schlagtechnik war früher ihre Stärke, in den Siebzigern, als die Frauen noch echtes Damentennis boten: verhuscht und fern aller Schweißtropfen.

Im vergangenen Jahr schied die Navratilova im Viertelfinale gegen die US-Amerikanerin Jennifer Capriati aus. Und in diesem Jahr? Vielleicht eine Erstrunden-Niederlage gegen Claudia Prowik? Nein, so würdelos darf sich die Charismatikerin nicht verabschieden.

Im vergangenen Winter machte sie noch von sich reden, als sie beim Frauenmasters in New York zu Protokoll gab — in den USA dampfte just die Affäre um den HIV-infizierten Basketballer Johnson durch alle Medien —, daß sie es empörend fände, wenn die HIV-Infektion ihres männlichen, heterosexuellen Sportkollegen auf Beileid träfe, zumal sich der Korbjäger durch das Bekenntnis, er habe mit etwa 1.000 Frauen Geschlechtsverkehr gehabt, in die Herzen der puritanisch-verklemmten Amis plauderte.

Denn, so Navratilova, die einzig offene Lesbe im Tenniszirkus, hätte sie sich eine HIV-Infektion zugezogen, hieße dies gleich, daß es an ihrem Lebensstil läge.

Immerhin, die sportliche Vita Martina Navratilovas war da schon makellos, so unumstritten, daß sie sich solche Töne fern allen Outings erlauben konnte. Lange genug hatte es gedauert: Ende der siebziger, vor allem aber Anfang der achtziger Jahre hatte sie es schwer in den USA. Gerade eben aus der realsozialistischen Tschechoslowakei emigriert, mochte niemand dieses Kraftpaket. Chris Evert war eher „everybody's darling“, immer lächelnd auf dem Platz.

Doch Navratilova, eine Lesbe als Nummer eins? Dieses zu etablieren, hat die Navratilova geschafft, ohne Schlüpfrigkeit, bisweilen mutig und straight, wie es selbst ihre Beraterin Billy Jean-King nie vermochte.

Eine Nachfolgerin ist nicht in Sicht. Die Seles? Zu glatt. Die Sabatini? Mögen vorwiegend Fans glutvoller Augen. Die Capriati? Große Füße und nette Eltern. Vielleicht aber die Graf. Ihren Vater hat man lange nicht mehr gesehen in den Betreuerlogen. Zudem fightet sie in der Art, wie es die Navratilova konnte. Sagt außerdem nach einer Niederlage „beschissen“ und nicht „oh, es war ein nettes Spiel“.

Für die Graf ist Wimbledon nichts als eine weitere Möglichkeit, sich auf dem Weg zur zweiten Krönung als Tenniskönigin einen Turniersieg zu bescheren. Die Navratilova aber sollte zur Ehrenpräsidentin der WITA, der Frauentennisorganisation, gekürt werden.

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