piwik no script img

„Yes“ oder „No“ — das ist die irische Frage

Alle großen Parteien werben für die Maastrichter Verträge/ Eine buntgescheckte Allianz aus LebensschützerInnen, PazifistInnen und Feministinnen ist dagegen/ Nach Meinungsumfragen ist der Ausgang des heutigen Referendums offen  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

In Irland läuft der Countdown: Heute muß die „Grüne Insel“ per Referendum über die Maastrichter Verträge entscheiden. Gegner- und BefürworterInnen setzten in den vergangenen Tagen zum Endspurt im Kampf um unentschlossene WählerInnen an und bombardierten sie mit öffentlichen Erklärungen und Flugblättern. In einer Ansprache an die Bevölkerung, die in Radio und Fernsehen live übertragen wurde, warnte Premierminister Albert Reynolds am Dienstag noch einmal vor einer Ablehnung des Abkommens. Der Vorsitzende der Demokratischen Linken, Proinsias De Rossa, bezeichnete Reynolds' Rede daraufhin als „nichts weiter als eine Wiederholung der Halbwahrheiten, falschen Behauptungen und Übertreibungen, die die Kampagne der Regierung von Anfang an charakterisiert“ hätten.

So sprach Reynolds erneut von sechs Milliarden irischen Pfund (über 16 Milliarden Mark), die Irland nach Ratifizierung des Abkommens aus dem EG-Strukturfonds erhalten würde. Diese Zahl ist von den Regierungen anderer EG-Staaten jedoch als Wunschdenken bezeichnet worden. Auch die Versicherung, die Neutralität sei nicht in Gefahr, stößt auf Widerspruch. Rechtsanwalt Colm McGeehan, der die Klage der Grünen auf Finanzierung der Anti- Maastricht-Kampagne erfolglos vor Gericht vertreten hatte, sagte zur taz: „Es stimmt nicht, wenn Reynolds behauptet, Irlands Beitritt zur WEU könne 1996 nur nach einem erneuten Referendum erfolgen. Es wird höchstens ein konsultatives Referendum ohne Bedeutung geben.“ Die GegnerInnen des Abkommens warnen davor, daß nach der Ratifizierung die Wehrpflicht in Irland eingeführt werden könnte.

Die vier großen Parteien haben eine gemeinsame Kampagne geführt, die von Einschüchterung bestimmt war. So ist der Text des Abkommens nur gegen eine Gebühr von umgerechnet 20 Mark erhältlich. Doch hinter der Parteienfront beginnt es zu bröckeln. Viele Ortsverbände der Labour Party treten in ihren Wahlkreisen gegen die Maastrichter Verträge ein. Umfragen unter Mitgliedern der Regierungskoalition aus Fianna Fail und den Progressiven Demokraten haben ergeben, daß nur etwa 60 Prozent von ihnen hinter dem Abkommen stehen.

Erleichtert war die Regierung, daß wenigstens die katholische Kirche stillhielt. Die Bischöfe veröffentlichten Ende Mai lediglich eine schwammige Formulierung zu Maastricht, gaben jedoch keine Wahlempfehlung. Freilich halten sich besonders in ländlichen Gegenden viele Pfarrer nicht daran und rufen ihre Gemeinden zum „Nein“ auf.

Der „Council for the Status of Women“ (CSW), ein Bündnis von 90 Frauenorganisationen, hatte die Maastrichter Verträge zwar scharf kritisiert, sich in der vergangenen Woche jedoch für ihre Ratifizierung ausgesprochen. Gegen den Alleingang des CSW-Vorstands rebellierten die angeschlossenen Gruppen und organisierten vorgestern eine eigene Pressekonferenz. Noreen Byrne von der Frauenkoalition sagte, der CSW-Aufruf reflektiere nicht die Meinung der Organisationen, die vom CSW repräsentiert werden. „Aus der CSW-Erklärung läßt sich folgern, daß in Irland keine Notwendigkeit für eine Frauenbewegung besteht, weil wir alle bisherigen Erfolge Brüssel verdanken“, sagte Byrne. „Das ist aber völlig falsch.“

Die Gewerkschafterin Clare O'Connor sagte, die Maastrichter Verträge beinhalteten eine Verwässerung von Frauenrechten. Ursula Barry von der Kampagne gegen das Abtreibungsverbot und Maxine Brady, die Präsidentin der Studentengewerkschaft, betonten, daß Frauen das Recht auf Abtreibungsinformation und Reisefreiheit haben. Reynolds hat versprochen, beides im November per Volksentscheid durchzusetzen, doch Brady sagt: „Unsere Botschaft an den Premierminister lautet: Wir trauen euch nicht über den Weg, wenn ihr sagt, daß ihr diesen Schlamassel im Herbst bereinigen wollt.“

In den „Schlamassel“ ist die irische Regierung durch den Fall einer 14jährigen geraten, die nach einer Vergewaltigung schwanger geworden war und erst im Berufungsverfahren im März die Ausreisegenehmigung erhielt, um eine Abtreibung in England vornehmen zu lassen. Das Gericht interpretierte die irische Verfassung dahingehend, daß bei Lebensgefahr der Schwangeren eine Abtreibung zulässig sei. Andernfalls könne jedoch ein Ausreiseverbot verhängt werden. Den entsprechenden Verfassungsparagraphen hatte die Dubliner Regierung auf Betreiben des Senators Des Hanafin, des Wortführers der „Lebensschützer“, im vergangenen Jahr durch ein Zusatzprotokoll in die Maastrichter Verträge aufnehmen lassen. Das will Hanafin inzwischen aber nicht mehr wahrhaben. „Das Zusatzprotokoll, das ursprünglich verhindern sollte, daß Europa uns die Legalisierung von Abtreibungen aufzwingen kann, schützt nun einen Verfassungsparagraphen, der laut Interpretation des Gerichts Abtreibungen zuläßt. Ein Ja zu Maastricht ist also ein Ja zu Abtreibungen in Irland.“ Nachdem Hanafin vor seinen Anhängern eine Grußadresse von Mutter Teresa verlesen hatte, sagte einer von ihnen: „Wir haben einen Mann vom Kaliber Mahatma Gandhis in unseren Reihen.“

Ob der irische Gandhi heute jedoch Erfolg haben wird, ist zweifelhaft. Die letzte Meinungsumfrage, die gestern in der 'Irish Times‘ veröffentlicht wurde, deutet auf eine Ratifizierung der Verträge in Irland hin, obwohl der Vorsprung der BefürworterInnen weiter geschmolzen ist: 49 Prozent der Befragten stimmen dem Abkommen zu, 28 Prozent lehnen es ab. Der Rest ist noch unentschlossen. Ein Journalist des 'Irish Independent‘ sagte jedoch, seine Zeitung habe eine Umfrage vom Wochenende unterdrückt, weil beide Seiten fast gleichauf lagen. Und die IrInnen sind immer für eine Überraschung gut, vor allem wenn sie das Gefühl haben, daß sie durch die massive Wahlkampagne für dumm verkauft werden sollten. Allerdings kann das auch die gegenteilige Wirkung haben: Der Schriftsteller John McGahern sagte, er werde dem Abkommen zustimmen, damit Irland von Brüssel regiert werde und die verlogene Moral in der irischen Politik endlich ein Ende habe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen