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Größte Tiefenschärfe

■ Eröffnung im Fotoforum: Klassiker der amerikanischen Fotografie / Sammler Werling zu Gast

Bob Werling: „Ich hab damals für kein Bild mehr als 250 Dollar Bezahlt!“F. Jörg Oberheide

In Sweat-Shirt und Jeans stand Bob Werling gestern im Fotoforum Langenstraße, wo die Bilder, seine in 25 Jahren gesammelten Fotografien, einen Tag vor der Eröffnung vermessen, aufgehängt, beschriftet wurden. „Ich hab sie noch nie zusammen gesehen! „ sagte er und lächelte wie ein Junge.

„straight fotography“ nannten die kalifornischen Fotografen der 20er und 30er Jahre ihre Kunst, und so war sie auch: überhaupt nicht mehr verklärend, weichzeichnend, romantisierend wie noch die Fotos der Jahrhunderwende. Und „F 64“ nannte sich eine Gruppe FotografInnen der US-Westküste, nach der Bezeichnung für die kleinste Blende, also die größte Tiefenschärfe, die genauste Detailzeichnung, die damals, in den 20er, 30er Jahren, überhaupt möglich war. Das Fotoforum Langenstraße eröffnet heute „The West Coast Photography“, Original-Abzüge von fünf FotografInnen aus der Sammlung von Bob Werling und vom Sammler selbst.

Zwar scharf und kontrastreich, aber noch mit romantischen Motiven: die Aufnahmen von Imogen Cunningham, der Fotograf mit der unübersehbaren Schwäche für Magnolien: Bilder von Blüten, Fruchtknoten, auch von Gesichtern wie Blüten. Einen deutlichen Bruch mit der harmonisierenden Mensch-Natur-Sicht macht Edward Weston. Sein Blick ist direkt, seine Bilder dokumentieren detailgenau bis zur Ader am nackten Fuß. Weston war ein Liebhaber von Tina Modottti, und am Strand von Mexico entstanden wunderschöne Aktauf

Mann vor

Bilderrahmen

nahmen von ihr. Eigentlich auch Akte sind seine unermüdlichen Versuche, die Nautilus-Muschel mit ihren Schatten und Öffnungen, Rundungen und seidigen Oberflächen abzulichten. Eineinhalb Jahre lang machte Weston täglich neue Versuche und hielt seine Qualen mit diesem erotischen Objekt im Tagebuch fest.

Nur eins der überhaupt wenigen erhaltenen Bilder hängt aus von Paul Caponegro: ein früher Versuch, Bewegung einzufangen: eine sehr helle, verwischte Rentierherde auf endlosem Querformat, vor dunklem Wald. Edward Westons Sohn Brett Weston beginnt in den Fußstapfen des Vaters und entwickelt seine Bilder bis hin zur völligen Abstraktion. Zwei lange Wände entlang hängen zunächst Landschaften, immer grafischer organisierte Ausschnitte, Tannen wie dunkle Dreiecke, schließlich wie weiße Linien die Umrisse von Wasserblasen, wie ein Gemälde der Schnee auf Steinen. Schattenflecke unter Wasserpflanzen auf schillernder Oberfläche als schwarzflächiger Teil des Motivs. Wie eine Bombe schlug im Dezember letzten Jahres die Nachricht ein, daß Brett Weston auf seiner 80. Geburtstagsparty seine sämtlichen Negative verbrannt und damit der endlosen und unkontrollierten Reproduzierbarkeit entzogen hatte. Sammler Bob Werling war damals dabei und erinnert sich: „Ein Mann kam mit Hut und weißen Handschuhen und der Kiste mit Negativen, er zündete ein Feuer an und warf das erste Negativ hinein, ein großes, 11x14 inches. Und dann alle. Weston sagte: Ich

möchte nur neue Bilder fotografieren jeden Tag.“

Altmeister Ansel Adams, in Europa wohl am bekanntesten von allen, zeigt mit seinen Aufnahmen die Schönheit und Erhabenheit von Natur. Seine Bilder legen den heute wieder so modernen Gedanken nahe, daß die Erde mit all ihren Ressourcen nur geborgt ist. Adam hat seine Negative dem Yosemite-Nationalpark gegeben, der Abzüge für 100 Dollar verkauft sich davon mit finanziert. Sammler Bob Werling war Adams Meisterschüler und Asssistent. Werlings Aufnahmen japanischer Motive, darunter viele Portraits, zeigen seinen eigenen, poetischen Weg. Werling macht in Europa regelmäßig Workshops und wird auch in Bremen zwei Vorträge halten.

Der Hauptteil der Ausstellung: die Retrospective; Dokumentar- Fotos von Marion Post Wolcott. Zu Zeiten der amerikanischen Rezession war sie von Präsident Roosevelt mit zwei anderen Fotografen beauftragt und gut ausgestattet, um mitten in Verelendung, Massenarbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit Bilder vom starken, gesunden Amerika zu schießen. Heraus kam eine Sozialreportage, so anrührend, schonungslos und wahr, daß die Bilder bis in die 50er Jahre in den Archiven verschwanden. An zwei langen Wänden hat Fotoforum-Leiter Wolfgang Stemmer ihre Bilder miteinander konfrontiert. Die verarmte Unterschicht des Südens: Feldarbeit mit primitiven Hacken, Einblicke in ärmliche Kochnischen, dreckige Bettstellen. Die abgebildeten Menschen haben der Fotografin offen ins Gesicht gesehen, haben ihr bereitwillig die Tür geöffnet. Die Bilder sind dunkel, grau, trist. An der Wand gegenüber die upper class: Helle, gepflegte Menschen, ein Dicker zu Pferd, ein breiter Händler mit Zigarre und Stock, zarte hellhäutige Frauen in teuren Ballkleidern, ein weißes Baby mit zwei schwarzen Kindermädchen. Marion Post Wolcott, die vor zwei Jahren verarmt gestorben ist, hatte vor ihrem Tode ihren Assistenten und Mitarbeiter Bob Werling gebeten, Abzüge von den Bildern zu machen, die ihr am wichtigsten waren. „Sie reiste in den 30ern ganz allein herum für ihre Fotos“, sagt Sammler Werling, „sie war eine mutige Frau.“ S.P.

Bob Werling hält am Montag in der HfK, Am Wandrahm, um 20 Uhr einen Vortrag über Marion Post Wolcott;

am Dienstag, 10 Uhr, spricht er über Adams-Zonen-System.

„The Bob Werling Collection“, Fotoforum Langenstraße 2, bis Mitte August täglich geöffnet von 10-20 Uhr

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