: Schöne, belanglose Hexen
■ Das Theater Naubolesk Nalezinski zeigt Caryl Churchills »Vingear Tom« (»Die Bösen«)
Wir befinden uns im Mittelalter, mitten in England, in einer Zeit, da Aberglaube nicht vor Sünde schützt. Der in seinem Korn wie Dagobert Duck in seinen Talern badende Bauer überlegt mit seiner Bäuerin, wie er seinen Reichtum noch vermehren kann. Doch die Zeichen stehen schlecht. Die Kälber blähen auf und krepieren scharenweise mit dicken, stinkenden Bäuchen. Des Bauern Geschlechtsteil, das er so gern in die Magd Alice stecken würde, weil es in seine Angetraute partout nicht mehr hineinpassen will, verschwindet einfach spurlos, während der frustrierten Bäuerin die Butter trotz allem rhythmischen Stochern im Faß nicht »kommen« will. Diese gottesfürchtigen Leute, die Gott fürchten, weil sie ständig sündigen, brauchen einen Sündenbock, der ihnen das Unheil abnimmt und den sie opfern können, um sich unschuldig zu fühlen.
Schuldige müssen also gefunden werden und sind auch schnell gefunden: schwache Glieder der Gesellschaft, Frauen mit unsolider Existenz, eben Hexen.
Drei von ihnen werden für den Flurschaden verantwortlich gemacht, den die Natur übers Land gebracht hat: Alice, Joan und Susan. Die erste, Alice (Christiane Nalezinski), hat ein Kind ohne Vater und gilt als Hure, weil die Männer, die sich von ihr angezogen fühlen, das Kind fliehen und bei der Mutter nur das sinnliche Vergnügen suchen, um sich dann schnell aus der Verantwortung davonzustehlen. Die zweite ist Alices Mutter (Christa Ewert), die mit dem Leben im Grunde schon abgeschlossen hat, bettelt, säuft und die Erhebung zur Hexe gar zu gerne annimmt, um noch einmal ihre ganze irdische Wut auf die sündige Welt zu kippen. Die dritte, Susan, ist ein naives Ding (Anette Sopp) und dumm genug, sich immer wieder von ihrem Mann schwängern zu lassen; nur widerwillig und mit ängstlichen Augen läuft sie zur Quacksalberin, um in sich rumschaben zu lassen. In ihrer ganzen elenden Gottergebenheit glaubt sie am Ende tatsächlich, so etwas wie eine sündige Hexe zu sein.
Caryl Churchills Stück Vinegar Tom entstand 1976 in Zusammenarbeit mit der Gruppe Monstrons Regiment und erfährt jetzt 16 Jahre später seine deutsche Erstaufführung im Theater Zerbrochene Fenster. Lohnt das noch? Der analytische Gewinn der Vorlage ist spärlich, denn die Geschichte aus der Zeit eines sinnlich überbordenen Mittelalters, in dem die Frau als Sündenbock der Gesellschaft firmierte, kommt für uns mindestens 16 Jahre zu spät. Sattsam bekannt ist die Parodie auf die scheinheilige Gottesfürchtigkeit, mit der den angeblichen Hexen seinerzeit der linkische wie grausame Prozeß gemacht wurde. Heute brauchen wir die große aufklärerische Geste wohl nicht mehr, mit der uns gezeigt wird, daß Hexen keine Hexen waren: diese manchmal schwachen, manchmal starken Existenzen, die für die Sünden anderer herhalten mußten und auf dem klerikal-patriarchalisch gezündelten Scheiterhaufen abgefackelt wurden. Für eine angemessene Überführung in die heutigen Anmaßungen und Minderwertigkeitsgefühle aber fehlt es dem Text Churchills ganz entschieden an Differenzierung, und der bloße Verweis: so war das damals, heute ist es ganz anders, aber ähnlich, hängt müde im analytisch schlecht gefüllten Raum.
So bleibt nicht viel mehr als ein kleiner, ästhetisch in sich geschlossener Todesreigen, in dem der Mann als Hauptschuldiger hingestellt wird: der gleiche Schauspieler (Joachim Lamont) spielt sowohl die Rolle des teuflischen Verführers, der Alice verläßt, als auch später den geldgierigen Hexenaustreiber Packer, der die Frauen quält und töten läßt. Das Patriarchat mimt die teuflische Klammer. Mehr als dies wird nicht geboten. Das Verhalten der Angeklagten bringt der postinquisitionalen Zeit keine neue Willensstärke bei. Spätestens nach einer Stunde fragt man (Mann?) sich, wofür hier mit soviel Kunstfertigkeit erzählt wird.
Gleichwohl gelingt der Truppe um die Schauspielerin und Initiatorin des Theaters Naubolesk, Christiane Nalezinski, eine rare, in sich stimmige Atmosphärenstudie, die den einzigen Schönheitsfehler hat, dem selbst erhobenen Anspruch nicht zu genügen, nur solche Projekte zu zeigen, »die wegen ihres Inhaltes oder ihrer Form an etablierten Bühnen nicht möglich wären.«
Selten spielt Off-Theater in einem derart inspirierten, atmosphärisch dichten und gleichzeitig doch praktikablen Bühnenbild, wie dem von Martin Ostrowski: ein eingeschossiger Holzsteg umgibt die Wand, auf und unter dem zahlreiche Orte mit leichter Hand und wenigen historischen Requisiten angedeutet sind und ineinander überfließen. Holzborken auf dem Boden, ein riesiger Felsbrocken für das Hexenlager und ein entfernter Tannenwald ziehen den Zuschauer in eine Nähe zum historisch längst Vergangenen, die verblüfft. Ein fahrender Musikant (Simon Jakob Drees) zieht durch diese Gegend und begleitet das Geschehen mit seinen flirrenden Geigenklängen und Vokaltönen, die sich immer wieder bis zur Schmerzgrenze steigern können. Das Spiel der Schauspieler, das zentimeternah am Publikum abrollt, schafft eine menschliche Nähe, die das Lieben und Leiden der Zeit ganz dicht an uns heranholt.
Schade, daß die Ambition durch die mäßige Vorlage dazu verurteilt wurde, so ganz ins Ästhetische abzurutschen. Einigen Zuschauern, die vorzeitig das Theater verließen, dürfte weniger ein Affront als die Belanglosigkeit auf den Magen geschlagen sein. Die sensible Inszenierung von Mechthild Erpenbeck hilft den Schauspielern, dem Zuschauer hilft sie nicht. baal
Nächste Vorstellungen: heute, morgen und übermorgen, 21 Uhr, im Theater Zerbrochene Fenster, Fidicinstraße 3, Kreuzberg
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