DURCHS DRÖHNLAND
: Eine Seelenasyle für amerikanische Klischees

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der nächsten Woche

An die 10.000 Maniacs dürfte sich noch jeder erinnern, der früher John Peel hörte, denn die Folk-Band um die Sirene Natalie Merchant war eines der Lieblingskinder der Independent-Gurus. Spätestens jetzt wird klar, daß die Maniacs nach außen zwar dominiert waren von der Stimme Natalies, aber für die Tendenz der Band eher John Lombardo, Gittarist der Urformation, zuständig war. Der fand mit Mary Ramsey eine Sängerin, die ein fast zum Verwechseln ähnliches Timbre wie Merchant besitzt. Das gemeinsame Projekt fand wegen der völligen Austauschbarkeit und Referenzlosigkeit den Namen John & Mary, und als wären die 10.000 Maniacs wiederauferstanden, erklingt auf ein neues der hochmelodische, melancholische Folkpop aus dem Reich gezupfter Halbakustischer und schwermütiger Violinen. Die Insel ist an diesem Abend allerdings nicht nur das Asyl dünnhäutiger, romantischer Seelen, sondern auch für die etwas rauhere Variante der amerikanischen Klischees. Diese werden dargeboten von deutschen Musikanten, die bekanntermaßen kein sehr gespaltenes Verhältnis zu importierten Mythen haben. Drive A British Car stammen aus Marburg und spielen einen versierten, sehr zurückgenommenen Mainstreamrock, der jeder Eruption ausweicht und ein zwar sehr stimmiges, aber halt auch sehr europäisches Bild von endlosen Autofahrten durch endlose Prärien zeichnet. Tex Morton ist seines Zeichens einer der aktivsten Gitarristen der westdeutschen Szene. Ob Bikerrock (Lüde & die Astros), Psychobilly (Sunny Domestoz) oder jetzt Trash (Lolitas), Morton hat alles gespielt und nebenbei noch bei den Goldenen Zitronen, den Mimmies oder The Perc Meets The Hidden Gentleman ausgeholfen. Ähnlich konfus und abwechslungsreich ist auch seine erste Solo-Platte Shanty Town, die neben allen Einflüssen, die der Rock'n'Roll so bereithält und die meistens fein säuberlich auf jeden Song aufgeteilt werden, auch noch die vom Titel nahegelegten waterkantschen Klänge inklusive Schifferklaver integriert.

Am 19.6. um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow

Die Grenzen zwischen Musik und Hörspiel sind oft genug fließend. Auch der japanische Avantgarde-Gitarrist Keiji Haino kann sich nicht recht zum Rhythmus entschließen, statt dessen malträtiert er — für meine Ohren — seine Klampfe oft einfach nervtötend und zieht es vor, dasselbe atonale Riff minutenlang zu wiederholen. Dazu gibt er asthmatische Laute von sich. Seine Legende ist einwandfrei: Gespielt hat er mit Fred Frith, John Zorn, Peter Brötzmann, David Moss, Bill Laswell und vielen anderen, die im Genre Rang und Namen besitzen.

Am 19. und 20.6. um 22 Uhr im Café Zapata im Tacheles, Oranienburger Straße 53-56, Mitte

Jetzt, wo der Sommer da ist, treiben sich die Menschen nicht nur in der Waldbühne rum, sondern treffen sich auch gerne im intimeren Kreis zum Open-Air. Dazu kriecht dann gern die zweite Reihe Berliner Bands aus ihren Übungskellern ans Licht, um noch etwas Farbe abzukriegen. So dieses Wochenende im Stadtpark Steglitz die Blue Toons, Die M&M's, Streetlights und Beware Of The Cat. Da solche Veranstaltungen meist mehr den Charakter von Barbecues als den von Konzerten haben, soll hier nur kurz erwähnt werden, daß Beware Of The Cat immer noch den langatmigen Sülzrock machen, den sie schon immer produzierten.

Am 20.6. ab 17 Uhr im Musikpavillon, Albrechtstraße/ Ecke Bismarckstraße

Was kann man von einer Band erwarten, die ihre ersten Auftritte angeblich in einem Heim für behinderte Kinder hatte und deren Gitarrist ganz bürgerlich Eisenträger heißt? Große Musik machen die Cows auf jeden Fall, eine nie gehörte Mischung aus wildem Punkrock mit jazzigen Breaks und endlosen, fiesen Gitarrenschleifen. Eine geradezu ungeahnte Grandiosität erlangt das wild delirierende Gebilde durch eine Trompete. Dieses Blasintrument benimmt sich, als sei es in die Pupertät gekommen und wolle mit der Macht der Jugend alles auf den Kopf stellen, was die Älteren von ihr erwarten. Wahrscheinlich sind die Cows nur Spinner, möglicherweise aber auch die beste Band, die Minneapolis seit Hüsker Dü hevorgebracht hat. Rock'n'Roll ist zwar toter als tot, aber die Cows sind ungefähr so überraschend, als wenn ein Stück Scheiße plötzlich laufen lernt.

Am 20.6. um 21 Uhr im Huxley's, Hasenheide 108-114, Kreuzberg

Ursprünglich stammen die Dog Faced Hermans aus Schottland, siedelten aber 1990 nach Amsterdam über in den Dunstkreis der Besetzerkommune um die Band The Ex. Vorher hatten sie schon mit Chumbawamba getourt, die politische Korrektheit der Hermans steht mithin außer Zweifel. Musikalisch liegen sie irgendwo zwischen diesen beiden Vorbildern. Zwar haben sie sich — vor allem in der Rhythmik — noch nicht allzuweit vom retrospektiven Punk von The Ex entfernt, sind aber doch sehr bemüht, andere, poppige Einflüsse zuzulassen. Im Gegensatz zu den samplefreudigen Chumbawamba sind diese bei den Hermans aber handgemacht. Da tröten die Tröten und klappern die Perkussions und geben den stumpfen Gitarren genau die Portion Weltmusik, die Politik zur Party werden läßt.

Am 21.6. um 21.30 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg

Darf der das? Soll der das? Tut der sich nicht weh dabei? Bei Al Die Meola mußte man immer die Befürchtung hegen, daß er sich die Finger endgültig verknotet und das verworrene Knäuel dann dem Publikum triumphierend entgegenreckt. Für sein letztes Projekt World Sinfonia schlägt er rhythmisch zwar gemäßigtere Ethno-Rhythmen an, aber läßt die Saiten weiter in unmenschlichen Geschwindigkeiten knarzen. Auf Tour kommt Herr Meola leider nur mit einer kleineren Besetzung als auf der Platte. Mit von der Partie: Chris Carrington (Git) und Gumbi Ortiz (Percussion).

Am 22. und 23.6. um 22 Uhr im Franz, Schönhauser Allee 36-39, 1058

Das breiteste Grinsen im Musikgeschäft hat sich seine Gitarre wieder einmal umgeschnallt, um uns mit seinen belanglosen Geschichtchen zu nerven. Irgend jemand muß vergessen haben, Jonathan Richman zu erzählen, wie überflüssig das ist, was er macht. Oder jemand hat es ihm erzählt und Jonathan hat ihn gerade nicht gehört, weil er gerade von seiner Frau träumte, die nie das richtige zum Anziehen findet, oder von Pablo Picasso, der immer die richtigen Farben fand, oder von Paris, wo sich die Liebenden immer noch finden, oder weil er gerade was aß. Wahrscheinlich hat er einfach nicht zugehört, denn Jonathan Richman gehört zu den Menschen, die so viel reden, daß ihr Gehör nur noch eine untergeordnete Funktion übernehmen darf. Reden ist Gold, mit Schweigen verdient man keine Mark. Man kann sich auf einen freudig verlaberten Abend einstellen, wenn man ein Richman-Konzert besucht. Und darauf, daß man ihm nicht böse sein kann, denn niemals vorher wurde der naiv-dämlich-freundliche Amerikaner überzeugender dargestellt. Wie ein Tourist, der sich in good old europe auf eine Bühne verirrt hat, ins Licht blinzelt, sich fragt, was die Leute da von ihm wollen, und vor lauter Verlegenheit anfängt — eben — loszuplappern.

Am 23.6. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg

Ricky Gelb hat ein großes Problem. Sein großer Bruder heißt auch Gelb und dann noch mit Vornamen Howe. Der Bruder ist Kopf und einziges dauerhaftes Mitglied von Giant Sand, die wiederum die führende Band des Arizona-Sound waren und sind. Der kleine Ricky besticht deshalb hauptsächlich durch eine sehr bewußte Aufarbeitung und Anreicherung seines übermächtigen Erbes. Auf der letzten Platte seiner Band Low Max From From A From darf jeder mittun, der im Wüstenland Rang und Namen hat, und so unentschlossen, aber auch konzentriert wirkt die Platte. Eine völlig neue Klangfarbe in den staubigen Sound fügte ein Cool-Jazz- Saxophon. Ricky Gelb ist eben doch mehr als nur der kleine Bruder. Auf die Tour kommt er allerdings ohne die großen Namen.

Am 23.6. um 21 Uhr im Huxley's

Damit die Wüste noch ein wenig wüster wird, wollen sich Thin White Rope auflösen. Guy Kyser hat allerdings Solo-Pläne, wenn er nicht doch wieder zurück in die Mojave-Wüste zieht, wo er bereits 17 Jahre seines Lebens verbrachte. Mit Thin White Rope verläßt eine Band das Business, die es nie ganz nach oben geschafft hat, trotz eines Kurzausflugs zur Industrie. Eine Band, die immer so eindeutig neben allen Trends stand, daß sie niemals wirklich viel verkauft hätte. Auch wenn ihr Country-Rock im Laufe der Jahre weicher wurde, die ewigen Gitarrenduelle von Kyser und Robert Kunkel kürzer wurden, war die Stimme von Kyser doch immer so näselnd verzweifelt, daß Thin White Rope nie Gefahr liefen, zu kommerziell zu werden. Trotz der Beteuerung von Kyser »I wish I could turn my sunsets into cash« waren Thin White Rope der Inbegriff einer staubigen Ehrlichkeit, die sich zu anderen Ami-Bands ungefähr so verhielt wie die Western von John Ford zur Italo-Abart des Genres. Eigentlich waren sie viel zu ernst, um ernst genommen zu werden, aber genau daraus resultierte ihre Eindringlichkeit: Das Anspielen gegen die Klischees, ohne die eigenen Mythen zu verraten oder sich neben sie zu stellen. Im Konzert umklammert Kyser fest den Gitarrenhals, denn an nichts sonst kann er sich halten, und seine Stimmbänder scheinen den Hals sprengen zu wollen, ohne dabei mehr zu erreichen als gedehnte, verzerrte Abbilder einer Musik, die es wahrscheinlich nie gab, aber von der Thin White Rope glauben machten, daß es sie geben müßte: ehrlichen Rock.

Am 25.6. um 20.30 Uhr im Loft

Thomas Winkler