: DIE KLEINE MEDIENPRAXIS — FRAGEN SIE FRAU DR. MONIKA
Schön war es gewesen in Rio, hörte ich von allen Seiten. Ein Festessen mit geräuchertem Tigerwels und Kalbsbraten, Passionsfrüchte zum Dessert, abgerundet mit feinen brasilianischen Weinen, serviert an einer extra angefertigten ovalen Tafel aus edlem Marmor, das stimmt friedlich.
Sehr zufrieden sei er gewesen, sagte der dickste Vertreter aller Deutschen, in diesem Ambiente verzichtete er gerne mal auf seinen geliebten Saumagen. Zufrieden auch die Journalisten, denn neben der hervorragenden Kulisse zwischen Zuckerhut und Copa Cobana war das kulturelle Angebot berauschend. Da konnte man sich in Werner Herzogs tropischem Sommernachtstraum ganz seinen Träumen ergeben und zu dem auserwählten Publikum einer 1,5 Millionen Mark teuren Theaterinszenierung zählen. Und zum Höhepunkt der Veranstaltung dann noch ein Live-Auftritt von Fidel Castro — ganz wie es sich gehört im olivgrünen Kampfanzug.
Alles in allem: ein großartiges Erlebnis. Auf Artenschutz- und Klimakonventionen war man ja vorbereitet, leichte Panik kam nur auf, als ein 900seitiges Machwerk, diese Agenda 21 auftauchte. Aber schließlich ist man ja Vollblutprofi, läßt die Kamera täglich über die Köpfe schwenken, schneidet ein paar Regenwälder, Müllkippen, Slums und bettelnde Kinder dazwischen und macht seinen Aufsager vor der Kamera, gute, schnelle, präzise Berichte wie immer.
Nur mit einem hatte keiner gerechnet: kein Schwein hat es gesehen. Jahrelang sammeln die bewußten Bürger nun schon Joghurtbecher und Alufolie, schleppen brav Flaschen und Zeitungen durch die halbe Stadt zum Container, demonstrieren für bessere Umweltgesetze, aber irgendwie konnte sich doch keiner so recht dazu aufraffen, den größten Gipfel aller Zeiten zu verfolgen. Statt dessen wurden heimlich schlechte Krimis geschmökert und wider besseren Wissens exzessiv den Serien und Gameshows gefrönt.
Jetzt sitzen sie da, die einen mit schlechtem Gewissen, weil sie sich vor den Hausaufgaben gedrückt haben, die anderen gekränkt, weil keiner ihre Arbeit zu würdigen wußte. Dieser Katzenjammer wäre allen erspart geblieben, wenn die wahren Helden aller Nationen in Rio erschienen wären.
Anstatt dem drögen Töpfer die Arena zu überlassen, hätte Hubertchen samt seiner Müllpyramide die Delegation anführen sollen. Der Gegengipfel wäre besser mit Benny Beimer als wahrer Robin Wood gefahren. Am Taxi-Stand hätte die schnelle Gerti stehen müssen, und die Verpflegung hätten die drei Damen vom Grill besorgen sollen. Nun steht bereits das nächste journalistische Großereignis, der Münchner Weltwirtschaftsgipfel, vor der Tür, und es gilt, die alten Fehler zu vermeiden. In den gut informierten Kreisen wird gemunkelt, daß nun Hans Werner Geißendörfer das Drehbuch für den Münchner Gipfel schreibt und mit dem Kanzleramt die Besetzung der Hauptrollen abgesprochen hat. Die Münchner Innenstadt wird von den Tatortkommissaren geschützt, dafür hat sogar schon Götz George sein Kommen zugesagt, Oppen und Ehrlich proben bereits seit Tagen an ihrem Auftritt und moderieren wird das ganze Spektakel, na wer wohl, Thomas Gottschalk natürlich.
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