: Noch in der Kiste
■ Aus München: »From Saties Factory«
Micro-Oper« nennen sich zwei Männer und zwei Frauen aus München, die noch bis Sonntag in der neuen »Bar aller Vernunft« gastieren. Sie nennen sich so, weil sie einst mit Gleichgesinnten ganze Opern inszeniert haben, und zwar »außerhalb herkömmlicher Formen«, wie sie schreiben. Dort nämlich vermuten sie hauptsächlich den Staub des Establishments, und die Sängerin Cornelia Melián kann sich unter einem Liederabend nur etwas Abscheuliches vorstellen. Nein, das würde sie nie machen, sagt sie, die Pianistin nickt, sie weiß, daß es im Fall von Eric Satie ja auch nie gemacht wird. In Satie aber haben sich alle vier ehrlich verliebt.
Nun stehen im Spiegelzelt auf der Parkterasse der Freien Volksbühne Berlin Riesenkartons hinter und neben dem Flügel, aus dem sich die Klavierspelerin mit Hilfe eines Küchenmessers befreien muß. Der kompakte Kubus erweist sich nun als dünnhäutiger Körper aus billigem Packpapier. Trotzdem hält er 80 Minuten lang eine Pianistin und einen Pianisten bis zur Hüfte gefangen, wie auch der andere, höhere Kasten ein Käfig ist, hinter dem sich die Sängerin versteckt.
Lauter Damen ohne Unterleib also, später wird ein Tänzer im papierenen Lendenschurz sportliche Disziplienen parodieren, alleingelassen auch er auf seinem Papierkasten. Dinge dieser Art scheinen sich einfach ereignen zu müssen, wenn Satie aufgeführt wird. Noch heute muß er sich dann mit Diseusen in Bars herumtreiben, den Kubismus entdecken und Lust auf das Absurde schlechlechthin haben.
So auch in der Perfomance der Mikrooper: Das Konzert ist eine Anspielung auf die Umstände, ist sehr schön, noch schöner wäre aber gewesen, das durchaus löbliche Ensemble hätte endlich gewagt den Purismus dieser Musik so pur zu spielen, wie sie geschrieben ist, Ton für Ton in absoluter Konzentration auf all das, was weggbleiben konnte. Dieser Satie hätte schon mal einen Liederabend ohne Pappkisten verdient.
Niklaus Hablützel
Noch bis Sonntag, 20.30 Uhr, in der Bar jeder Vernunft, auf dem Parkdeck der Freien Volksbühne, in der Schaperstraße.
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