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Programmatische „Vernebelung“ in Israel

Vor den Wahlen zum israelischen Parlament am kommenden Dienstag/ Nun geht es nicht mehr darum, ob die Arbeitspartei gewinnt, sondern wie groß der Abstand zum Likud-Block sein wird/ Schamir hat sich verrechnet  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

„Wenn ich mir die Wahlspots im Fernsehen betrachte, habe ich nach einer halben Stunde den Eindruck, eine verwackelte Aufnahme gesehen zu haben — allgemeine Vernebelung, und nichts ist im Fokus“, sagte mein Zahnarzt gestern, als er sich mit dem Bohrer über mich beugte. Diese Beschreibung der Propaganda vor den Parlamentswahlen am kommenden Dienstag spiegelt ein verbreitetes Unbehagen in Israel wieder: niemand war an einer zu offenen Darstellung der Lage und der bevorstehenden Aufgaben interessiert.

In den Hauptquartieren der wichtigsten Rivalen in diesem Wahlkampf, des Likud und der Arbeitspartei, geht es nun um die letzten Anstrengungen zur Mobilisierung der WählerInnen. Jizchak Rabin von der Arbeitspartei soll heute und morgen in 87 verschiedenen Dörfern, Städten und Kibuzim auftreten [wie das? die k'in]. Und bis Montag abend will die Arbeitspartei noch eine halbe Million WählerInnen ansprechen: telefonisch, bei Versammlungen, mit Eilbriefen und dergleichen mehr. Am Wahltag selbst sollen etwa 10.000 Fahrzeuge bereitstehen, um alle potentiellen ArbeitsparteiwählerInnen zum Abstimmungslokal zu befördern. Nun hofft man, daß in den nächsten Tagen „nichts Außergewöhnliches passiert“. Daß heißt, daß der Likud nicht doch „etwas Spektakuläres“ inszeniert, was das gegenwärtige Bild noch zugunsten der rechten und rechtsextremen Parteien verändern könnte.

Ähnliche Hochspannung herrscht in der „Festung Zeev“, dem Sitz der Wahlkampfleitung des Likud. 1,8 Millionen WählerInnen sind bereits „persönlich bearbeitet“ worden. Leute, die auf den Computerlisten stehen und von denen bekannt ist, daß sie dem Likud nahestehen. Auch er stellt einen Transportdienst für den Wahltag zur Verfügung, allerdings ist das Budget etwas niedriger als das der Arbeitspartei.

Bei den beiden großen Parteien traten trotz ihrer scharfen Konkurrenz während des bisherigen Wahlkampfes kaum programmatische Differenzen zutage. Man bekämpft sich vor allem durch böse Polemik: Die Histadrut-Gewerkschaft wird so zur „bolschewistischen Gefahr“. Likud fürchtet um die Stimmen seiner zahlreichen unzufriedenen WählerInnen. Genau auf diese spekuliert die Arbeitspartei, die sie durch einen „Likud-nahen“ Rabin zu gewinnen sucht. Insbesondere sein Renommé als Generalstabschef während des Sechs-Tage-Krieges wird ausgespielt. Er präsentiert sich als Falke. Und gegen den unscheinbaren Schamir hat Rabin vor allem im Fernsehen die besseren Karten, wo er sich als Vaterfigur inszeniert.

Schamir hingegen ist darauf angewiesen, seinen verstorbenen und sehr populären Vorgänger Menachem Begin in Erinnerung zu rufen. Er erwähnt darum ständig dessen Sohn, Zeev Benjamin Begin, ebenfalls Likud-Politiker. Versuche des Likud, Rabin als Alkoholiker und Versager zu desavouieren, erwiesen sich als Bumerang. Meinungsumfragen unter den israelischen WählerInnen weisen schon seit längerem auf einen Sieg der oppositionellen Arbeitspartei hin.

Machtkämpfe lähmen den Likud

Die entscheidende Frage ist jetzt nurmehr, mit wieviel Stimmen die Arbeitspartei gewinnt und mit wieviel Stimmen der Likud verliert. Sollte die Differenz zwischen Likud- und Arbeitsparteistimmen groß genug sein, böte sich eventuell die Chance, einer Koalition aus rechten Parteien die Rückkehr in die Regierung zu versperren. Wenn nicht, könnte Schamir womöglich erneut eine Regierung bilden, falls er alle kleinen rechten und religiösen Parteien von einer Koalition mit Likud überzeugen kann. Doch liegt auch eine große Koalition im Bereich des Möglichen.

Fünfzehn Jahre nach Übernahme der politischen Macht unter der Führung von Menachem Begin steht der Likud abgekämpft und innerlich zerrüttet da. Innere Machtkämpfe lähmten die Partei, so daß nicht einmal mit populären finanzpolitischen Beschlüssen Stimmenfang betrieben werden konnte.

Schamir und seine Berater haben sich gründlich verschätzt, als sie im Winter letzten Jahres beschlossen, den Wahltermin vom kommenden November auf den Juni vorzuverlegen. Der Ministerpräsident glaubte damals an einen kurzen und leichten Triumphzug einer Regierung und Partei, die ohne territoriale Konzessionen und Siedlungsstopp einen angeblichen Nahostfrieden auszuhandeln gedachte. Er hatte sich zuviel erhofft: Die Nahostgespräche stecken fest, die Kreditgarantien sind nicht in Sicht, und die Einwanderung aus der früheren Sowjetunion ist im Vergleich zu den beiden letzten Jahren um achtzig Prozent zurückgegangen. Die Arbeitslosigkeit unter den Neueinwanderern liegt derzeit bei rund vierzig Prozent.

Um die des Hebräischen noch unkundigen Einwanderer zu erreichen, haben die meisten Wahlspots russische Untertitel, oder russische Sprecher appellieren an die immerhin 400.000 Neueinwanderer. Selbstverständlich bedient sich vor allem eine Partei namens „Da“ („Ja“) dieser Methode, die angetreten ist, die Interessen der Einwanderer zu vertreten. Arabischsprachige Werbespots sind hingegen eine Seltenheit, obwohl immerhin 18Prozent der israelischen Wähler arabischsprachig sind. Natürlich gibt es eine Reihe arabischer Wahllisten, doch die führen ihren Wahlkampf im Rahmen des arabischen Fernsehprogramms. Betont binational gibt sich nur die Liste der „Demokratischen Front“, deren Spots ausdrücklich Araber und Juden zum Nachdenken bringen sollen. Um etwas sozialpolitische Substanz und perspektivische Argumentation im Hinblick auf den Nahostfriedensprozeß bemüht sich auch ein Parteienbündnis mit dem Namen „Meretz“ („Energie“), in dem sich Mapam, Ratz und Schinui als Bündnispartner der Arbeitspartei zusammengeschlossen haben. Meretz verspricht, eine große Koalition zu verhindern.

Unter den zahlreichen religiösen Parteien steht die Liste der Nationalreligiösen dem Likud am nächsten. „Militärdienst leisten, siedeln und beten“, lautet das Rezept dieser Gruppierung, das vorzugsweise in den besetzten Gebieten realisiert werden soll. Und eine streng religiöse Lebensweise fordern auch die beiden orthodoxen Listen der „Vereinigten/Agudad Israel“ und „Shass“.

Nur noch mit einer Uzi oder Pistolen schießend tritt hingegen Rabbiner Mosche Levinger vor die Fernsehkamera. Levingers „Lehre und Land“-Liste gehört zu den rechtsradikalsten Gruppierungen, die die Sicherheit der jüdischen Siedler in den besetzten Gebieten und die „Vertreibung der palästinensischen Agitatoren“ zu ihrem Programm gemacht haben. Der „Transfer“ — gemeint ist der Abtransport — sei bereits von berühmten zionistischen Führern propagiert worden, erklärt Reservegeneral Rechavam Zeevi von der „Moledat“-Liste. Er zitiert in diesem Zusammenhang auch Ben Gurion. Nachdem das zentrale Wahlkomitee die Beteiligung zweier extrem rassistischer Gruppen verboten hat, die sich in der Nachfolge des in den USA ermordeten Rabbiners Meir Kahane sehen, werden die verschiedenen etablierten rechtsradikalen Parteien zusätzliche Stimmengewinne verbuchen können.

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